In der flüchtigen wie verbindlichen Sphäre der Mode wechseln die Trends im Rhythmus der Jahreszeiten, mitunter der Monate. Das Thema „Athleisure“ verfügt dabei über eine Saison übergreifende Konjunktur über zahllose Modeblogs und Redaktionen hinweg. Der Begriff, der es bislang nicht in den Duden geschafft hat, ist ein Kompositum aus dem „Athleten“ und der „Leisure“, dem englischen Wort für Freizeit; er kennzeichnet einen Stil der Ungezwungenheit, der seine Inspiration aus dem Stadion, von der Straße und vom Sofa bezieht.
Der Athlet, aus dem Griechischen entlehnt, ist der Wettkämpfer, der sich mit anderen um einen Preis streitet. Als solcher steht er beispielhaft für den Menschen in der Postmoderne, der die permanente Konkurrenz im Beruf, im Sozialen und im Privaten akzeptiert, ja umarmt, weil er sich ihrer gewappnet fühlt. „Athleisure“ nun ergänzt den Wettstreit um das Erholsame der Freizeit, unterläuft das Diktat des Immer-ganz-vorne-sein-Müssens ironisch und hebt en passant, ganz aktuell am Geschehen, die Grenzen zwischen Arbeit und Leben auf.
„Die Mode ist vor allem Versprechen und Suche nach Individuation: Das Individuum folgt der Mode, um die eigene Einzigartigkeit durchzusetzen und unter Beweis zu stellen, und es tut dies, indem es sich nach einer allgemeinen Tendenz ausrichtet. Das Individuum macht also, was die anderen machen, um anders zu sein.“ So formuliert es die italienische Soziologin Elena Esposito. Im Falle von „Athleisure“ kreuzen sich die sozialen Dogmen der Fitness, der Anstrengungslosigkeit und der Nonkonformität, die Jugend der globalisierten aka westlichen Welt ist im Job und im Club ebenso daheim wie im Netz und am Gate – one size fits all.
Athleisure wird von originären Sportbekleidungsfirmen ebenso vermarktet wie von etablierten Adressen der Mode. Wichtig sind ein klarer Schnitt, hohe Textilqualität und breite Kombinierbarkeit der Stücke; anders als die Instant-Kollektionen der Billigketten behalten sie nach dreimaliger Wäsche Farbe und Form. Materialien aus der mittlerweile stark am Design orientierten Outdoor-Welt wie Goretex oder Neopren haben peu à peu Einzug gehalten in die Arbeits- und Geschäftskleidung, wo das geringe Gewicht, der Tragekomfort und das Pflegeleichte geschätzt werden.
Dabei profitiert Athleisure vom Glanz des Sports, der bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts als Freizeitbeschäftigung der Oberschicht galt. Nostalgische Reservate dieser elitären Welt sind heute die Hochseeyacht, das Golfgreen, die Pferderennbahn und das Skiresort, ein demokratisch gebrochenes Echo findet sich im Schwimmbad, auf dem Fußballplatz, im Tanzstudio und natürlich im Gym. In der postmodernen Gesellschaft ist die körperliche Fitness, von jeher kausal mit dem Sport assoziiert, ein kardinaler Ausweis von Gesundheit, Attraktivität und Leistungsfähigkeit – so wird „Athleisure“ zum untrüglichen Zeichen der Zeit.
Während die Haute Couture der großen Modehäuser Frauen traditionell wie Pralinen in aufwendige, kolossal unpraktische Kleiderschleifen verpackt und sie damit zu schieren Dekorationen richtet, rüstet Athleisure die Kundinnen für den Nahkampf in Beruf, Partnerschaft und Freizeit aus. Kombiniert mit einem edlen Schmuckstück, einem zeitlosen Mantel, einem raffinierten Make-up und/oder einer schicken Handtasche wird die Chose dann durchaus bürotauglich.
Ein Element der Athleisure-Mode ist ihre Körpernähe und damit -betonung. Die Trägerin muss also den entsprechend sportlichen Körper bereits mitbringen, ansonsten wird ihre Nichtfigur durch die Kleidung denunziert – dann versagt Mode in ihrer schmeichelnden Funktion der Kaschierung. Mit Athleisure geht eine perfide Gnadenlosigkeit in Sachen Stil einher: Was als lässiger Look daherkommt, ignoriert die physischen Voraussetzungen, auf denen er beruht.