Was für eine Botschaft! Mordversuch in Deutschland bleibt folgenfrei, solange er mit dem Auto und dem Smartphone verübt wird. Das Landgericht Stuttgart verurteilte eine Autofahrerin, die am Steuer ihres Wagens auf gerader Landstraße SMS tippte, sich willentlich ablenkte und dabei en passant einen Rennradfahrer tötete und einen weiteren schwer verletzte, zu zwei Jahren Haft auf Bewährung, sprach sie also faktisch frei. Das Gericht sah die Tatbestände der fahrlässigen Körperverletzung und der fahrlässigen Tötung ebenso als erfüllt an wie den des versuchten Mordes, weil die Angeklagte nach dem Aufprall Fahrerflucht beging, ohne Hilfe für die von ihr niedergefahrenen Rennradfahrer zu holen. (AZ: 2KLs 71 Js 78596/14)
Es ist grotesk, dass ein Mensch, der sämtlicher Verbrechen dieser Liste überführt ist, nicht ins Gefängnis muss. Mit diesem grausam unverhältnismäßigen Urteil festigt das Landgericht Stuttgart die traditionell deutsche Bevorzugung der Autofahrer vor anderen, in aller Regel schwächeren und damit schutzbedürftigen Verkehrsteilnehmern. Unklar bleibt auch, warum die Angeklagte, die zum Zeitpunkt des Mordversuches 19 Jahre alt war, nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wurde. In diesem Land darf man mit Erreichen der Volljährigkeit mit 18 Jahren wählen gehen, eine Wohnung mieten, einen Kredit aufnehmen, einen Arbeitsvertrag abschließen, Alkohol in der Öffentlichkeit trinken und einen Führerschein machen. Warum legt man nicht den gleichen Maßstab der Verantwortlichkeit für tödliches Verhalten im Straßenverkehr an?
Generell verfolgt eine Strafe sanktionierende wie auch abschreckende Absichten; letztere wird durch das Urteil des Landgerichts Stuttgart sicher nicht erreicht. Es festigt sich der unselige Eindruck, dass es sich bei der Tötung eines Menschen mit einem Auto um eine lässliche Sünde handele, die in den Autoverkehr eingepreist sei. Warum nur ist den urteilenden Richtern der Schutz von Radfahrern und Fußgängern so wegwerfend egal, dass sie auf ein naheliegendes Signal verzichten und die junge Straftäterin, die offensichtlich unfähig war, mit der Waffe Auto sorgsam umzugehen, auf freiem Fuß lassen? Weil Stuttgart im Epizentrum der deutschen Automobilindustrie und ihrer Arbeitsplätze sichernden Zuliefererunternehmen liegt? Das urdeutsche Wort „autogerecht“ bekommt dergestalt eine weitere unmenschliche Dimension.