Autogerecht I

Dieses Wort findet sich weder im Duden (24. Auflage) noch im Dornseiff (8. Auflage), dabei beschreibt es die deutsche Seele so elementar wie kaum ein anderes. Als nach den Bombardements des II. Weltkriegs praktisch alle Innenstädte in Trümmern lagen, schlug die Stunde der Raumplaner. Sie ergriffen die Gelegenheit beim Schopf und schufen die „autogerechte“ Stadt – Wohnen und Arbeiten, Konsum und Kultur, Lernen und Freizeit, jeder Lebensbereich hatte sich dem jungen Verkehrsmittel und seinem flächenfressenden Asphalt und Beton unterzuordnen. Unter den mörderischen Folgen dieser Nachkriegsentscheidung leiden die Menschen und die Natur bis heute.

Achtspurige Schnellstraßen durchschlagen ganze Wohnquartiere, SUV mit der Antriebsleistung eines Schützenpanzers blockieren Bürgersteige, Fußgänger, Radfahrer und spielende Kinder gelten als mobile Verkehrshindernisse, Promenaden und Piazzen verschwinden zugunsten von Parkhäusern – kein Land der Welt pflegt ein derart libidinöses bis pathologisches Verhältnis zum Auto wie Deutschland. Die Industrie, in den Augen der Politik sakrosankte Stütze der exportorientierten Wirtschaft, feiert den Einzug digitaler Technologien ins Steuerpult des Fahrzeugs als ästhetisch-funktionalen Fortschritt; für die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer tut sie verlässlich nichts.

Mit dem Totschlagargument der Sicherung von Arbeitsplätzen rechtfertigt die Autolobby die Steigerung des Komforts durch noch mehr Masse und immer höhere Geschwindigkeit, anstatt etwa einen Airbag für Fußgänger und Radfahrer im Falle einer Kollision zu entwickeln. Leise oder gar stumme Motoren zu kreieren, käme den Ingenieuren nicht den Sinn – sollen die lärmgeplagten Menschen sich doch hinter Schallschutzglas verschanzen. Der Benzinpreis ist trotz des längst erreichten Peak Oil noch immer skandalös niedrig, die Treibstoffsteuer wirkt wie eine versteckte Subvention ungebremster CO2-Emissionen. Die Ampelschaltungen privilegieren schamlos die PKW und LKW, ihre Lenker sind beim fahrlässigen Töten von Radlern und Passanten optimal versichert.

Es scheint Teil der DNS der Bundesrepublik zu sein, „autogerecht“ mit „menschengerecht“ zu identifizieren, auch wenn die Einsicht wächst, dass die Städte am Krach, Dreck, Gestank und Platzbedarf der aggressiven Blechkisten ersticken. Anfang der 1970er Jahre wurde in Amsterdam gefordert, die Fahrbahnen zwei Meter in die Erde zu versenken und die Dächer der Autos mit Pflanzen zu begrünen. Naiv, aber charmant und human. Eine Reise egal in welches Land belehrte die Deutschen en passant, wie entspannt es zugehen kann, wenn die Menschen im Auto keinen Fetisch sehen, sondern ein Gebrauchsgut. Aber was will man erwarten von einem Land, dessen Bevölkerung (ihre) Freiheit selbstgerecht über das Fehlen eines Tempolimits auf Autobahnen definiert?