Brompton

So viele begehrliche Blicke hat Kerstin im Straßenverkehr selten auf sich gezogen. Das liegt weder an einer neuen Frisur noch an einem rasanten Fahrstil, sondern an ihrem neuen Pferd im Stall. Das Brompton, das sie seit Kurzem regelmäßig fährt, ist definitiv ein Hingucker, es funktioniert blendend als Treiber der Verkehrswende wie als analoge Dating-App. Der leuchtende Farbton „Flame Lacqeur“ des elegant geknickten Gestänges, changierend zwischen Kupfer, Whiskeyblond und Herbstorange, macht es schwer, dem Designobjekt nicht „Wow!“ rufend hinterherzuschauen.

„Niedlich schnittig“ ließe sich das Kultrad, das seit fast 40 Jahren in London gefertigt wird, kurz und knapp beschreiben. Die kleinen Räder mit einem Durchmesser von nur 16 Zoll lassen zuerst an ein Kinderfahrrad denken, dank dieser Größe beschleunigen die schmalen Reifen nach einem Ampelstopp besonders schnell. Die lang ausgezogene Sattelstütze betont in Kombination mit dem tief liegenden Rahmen und dem hohen Lenker ganz untypisch die Vertikale, dazu setzt der lange Radstand einen horizontalen Kontrapunkt. Die Silhouette des Brompton wirkt wie ein Parallelogramm der Bewegung, sechs Gänge sorgen für differenzierten Schub auf dem Asphalt.

Das Brompton ist konzipiert für die urbane Mobilität, es hat so gar nichts gemein mit den klobigen Klapprädern der 1970er Jahre. Sein klug durchdachter Faltmechanismus erlaubt es der Fahrerin, es als Gepäckstück gratis in Bus und Bahn zu transportieren. Mit nur wenigen logischen Handgriffen, ganz ohne Werkzeug und ohne sich die Finger an der Kette zu verschmieren oder sich die Leggings am Haken zu zerreißen, kann Kerstin das Rad auf ein Volumen von 65 x 65 x 30 cm schrumpfen lassen. Im handlichen Zustand wirkt es wie ein zusammengerollter schlafender Fuchs, der im Kofferraum des Autos oder unter dem Schreibtisch im Büro von weiteren Ausritten träumt. In seiner Gegenwart kommen Gespräche zwischen Fremden wie von selbst in Gang, manche werden auch zu Flirts.

Gerade in Kooperation mit dem ÖPNV spielt das Brompton seine Unverwechselbarkeit lässig aus. Auch in den Fernzügen der Deutschen Bahn findet Kerstin immer eine Nische hinter einem Sitz für das Rad, selbst die Mitnahme im ICE ist problemlos möglich; das moderate Gewicht von 12 kg erlaubt das Tragen des Pakets auch über Treppen. Bei einem Termin in einer fremden Stadt ist Kerstin mit dem Aussteigen aus dem Zug mobil, sie spart Geld für ein Taxi und Zeit für das Anmieten eines Rades vor Ort. Die Büroutensilien verstaut sie in einer Tasche, die am Vorbau feststeckt, ohne störend mitzulenken. Auch die Stabilität der sportlichen Konstruktion bleibt vollumfänglich erhalten.

Sie hat sich schnell an das agile Lenkverhalten des Fohlens gewöhnt. Der Wendekreis ist kleiner als beim soliden Trekkingrad, die fast aufrechte Sitzhaltung wesentlich bequemer als auf dem aggressiven Rennrad. Dank des flachen Einstiegs kann sich Kerstin auch parkettbereit im Businessdress in Rock, Jackett und Pumps auf den Sattel setzen. Hier hat sie das vormontierte Standardmodell durch eine Premiumversion aus dem ebenfalls britischen Hause Brooks ersetzt, das auch ergonomisch geformte Handgriffe aus schmeichelndem Leder liefert. Das individualisierte Fahrrad hat fraglos das Zeug zum Fetisch, der satte Grundpreis gibt das Seinige dazu.

Das Brompton ist angewandte Intermodalität in Perfektion. Es demonstriert seine Stärken bei regelmäßigen Fahrten in der Stadt, bei längeren Strecken mit der Bahn avanciert es binnen einer halben Minute zum Handgepäck. Es ist chic genug, um bei professionellen wie privaten Terminen zu glänzen, und robust und praktisch genug, um im chaotischen Verkehr der Stadt die passenden Wege zu finden. Sieht Kerstin eine andere Fahrerin auf dem Brompton, lächeln sie sich wissend und freudig an. Nur am Straßenrand wird sie ihr Rad niemals angeschlossen lassen – zu groß ist die Klaugefahr. Es weicht ihr ohnehin nicht von der Seite, es begleitet sie ins Kino, ins Restaurant, in die Wohnung und ins Hotel. Das muss wahre Liebe sein.