Die Tour de France 2018 geht in ihre dritte Woche, das Feld nimmt Kurs auf die Pyrenäen, wo die Entscheidung über den Gesamtsieg fallen wird. Dem übel beleumdeten britischen Team Sky, das das Rennen in den vergangenen Jahren dominiert hat, schlägt die wohlverdiente Ablehnung des Publikums am Straßenrand entgegen; die Entscheidung des Weltradsportverbandes UCI, den des Dopings überführten Vorjahressieger antreten zu lassen, hat den Ruch der Korruption.
Dessen ungeachtet avanciert en passant ein Niederländer zum heimlichen Patron der Tour. Der 27 Jahre alte Tom Dumoulin, im letzten Jahr überzeugender Gewinner des Giro d’Italia, hat vor den anstehenden Etappen über die kahlen Pässe an der französisch-spanischen Grenze gute Aussichten auf das Maillot Jaune. Der liebevoll „Schmetterling von Maastricht“ genannte einstige Zeitfahrspezialist ist zu einem vollendeten Rundfahrer mit hoher Rennintelligenz bar jeder Schwäche gereift: Er bleibt enorm stark im Kampf contre la montre, kann im Hochgebirge mit den Kletterern locker mitgehen, fährt in den steilen Rampen ökonomisch sein eigenes Tempo, steuert sein Rad sicher die Abfahrten hinab und kann im Schlussanstieg gegebenenfalls noch attackieren.
Die Ästheten des Rennrads bekommen ob seiner Erscheinung leuchtende Augen: Dumoulin steht in der Tradition der großen Stilisten der Landstraße, die auf jedem Terrain elegant auf ihrem Sportgerät sitzen und geschmeidig aus der Hüfte im runden Tritt pedalieren. Sein Fahren wirkt so unaufgeregt wie zwingend, sein Rumpf bleibt auch bei großer Anstrengung ruhig und unverkrampft, er vergeudet keine Energie beim Hin- und Herwerfen des Rades im Wiegetritt, ganz selten geht er einmal aus dem Sattel, die Gesichtszüge bleiben entspannt. Und überhaupt sieht er so blendend aus, dass er auch auf dem Laufsteg fraglos bella figura machte.
Die reinen Bergziegen haben den zierlichen Körperbau eines Jockeys, Dumoulin verfügt über die definierte Gestalt eines Triathleten. Er äußert sich in Interviews stets reflektiert zum Renngeschehen – eine wohltuende Ausnahme im Peloton, wo es von Floskeln à la „wenn die Beine da sind“, „Gas geben“ und „nach hinten einen raushauen“ nur so wimmelt. Vor dem Beginn seiner Profikarriere liebäugelte er mit dem Medizinstudium, bei aller Höflichkeit lässt er einen selbstbewussten Charakter erkennen: Im vergangenen Jahr nach seinem souveränen Gewinn des Maglia Rosa lehnte er ein Angebot des Teams Sky ab, das ihn als Sklaven auf der Galeere verpflichten wollte, um dergestalt einen ernsthaften Herausforderer des eigenen Kapitäns zu neutralisieren. Stattdessen trägt er zum Renommée seines kleinen, aber feinen deutschen Rennstalls Sunweb bei, wo er die klare Nummer Eins ist.
Das Licht des Südens empfängt nun das Feld, das bereits die Vendée, die Bretagne, die Ardennen, die Alpen, das Massiv Central und die Provence durchquert hat. Der Niederländer mit dem frankophonen Namen (Dumoulin = zur Mühle) wäre ein würdiger Träger des Maillot Jaune auf den Champs Elysées am kommenden Sonntag, der Abstand zum aktuell Führenden im Klassement ist durchaus aufzuholen. Diese Tage werden es zeigen, wer nach gut 2.500 km Strapazen durch Hitze, Staub und Wind im verschwenderisch schönen ländlichen Frankreich noch Kräfte freisetzen kann im Kampf um die Spitze. Tom Dumoulin wird sich klug entscheiden, hoffentlich erfolgreich.