Ein dieser Tage im politischen und medialen Diskurs oft verwendeter Begriff ist der der „Empathie“, die die Gesellschaft den Flüchtlingen entgegen zu bringen habe. Im Altgriechischen meint empatheia soviel wie Leidenschaft oder intensives Gefühl, im Neugriechischen hingegen Feindseligkeit resp. Hass, im deutschen Alltagsgebrauch wird es neutral als Mitempfinden übersetzt. Auf die Empathie folgt idealerweise die Solidarität, also die wohlwollende Unterstützung der Schwachen in ihrem Bemühen zur Verbesserung ihrer Situation.
Der Dorsch, das Lexikon der Psychologie, definiert in seiner 17. Auflage die Empathie als „die Fähigkeit zu kognitivem Verstehen und affektivem Nachempfinden der vermuteten Emotionen eines anderen Lebewesens. Das konkrete Ausmaß an Empathie ist neben der individuellen Disposition auch von situativen Faktoren wie der eigenen emotionalen Stabilität oder der Zuneigung zum Gegenüber abhängig.“ Dieses differenzierte Verständnis stellt darauf ab, dass es sich bei der Empathie um eine auch quantitativ begrenzte Ressource handelt.
Das Mitempfinden mag ein wichtiger Impuls zum Handeln sein, es wird jedoch allein nicht ausreichen, in einer realen Lage das sozial, ökonomisch und politisch Richtige zu tun; die Ratio sollte es stets begleiten. Zumal es aus schierem Selbstschutz geboten sein kann, sich emotional nicht allem Leid der Welt zu öffnen, ohne konkret an seinen Ursachen und Folgen etwas ändern zu können – Verdrängen und Vergessen haben eine stabilisierende Funktion für die Seele, das weiß jeder Psychoanalytiker.
Schließlich ist Empathie nicht zwingend gleichzusetzen mit der Aufgabe jeglicher Distanz, wie der Dorsch ihre qualitative Dimension präzisiert: „Die authentische Empathie mit höherem affektiven Anteil (Mitfühlen, Miterleben der Emotion des anderen) verstärkt die Tendenz zu prosozialem Verhalten. Die funktionale Empathie mit höherem kognitiven Anteil (Einfühlen, verstandesmäßiges Nachvollziehen der Emotionen des anderen) ermöglicht beispielsweise therapeutisches Reflektieren und effektive Manipulation (z. B. Werbung).“
Es hängt also von den Zielen hinter der Beobachtung des Leidens anderer ab, was nach der Empathie passiert. Identifizieren sich die europäischen Staaten mit den mutmaßlichen Motiven der Flüchtlinge oder vergewissern sie sich zunächst der eigenen, jenen gegebenenfalls widerstreitenden? Das fundamentalistische Öffnen der Grenzen für alle ist ebenso naiv, wie das rigide Abschotten der EU-Außengrenzen unbarmherzig ist. Doch die Logik der Kommunikation über Empathie ist nicht einwertig, Mitempfinden heißt nicht Denkverzicht.