Im Geist hab ich ein Stundenbuch von dir, / Gefüllt mit bleibender Erinnerung. / Sie überlebt das brüchige Papier / Und bleibt in alle Ewigkeiten jung. – William Shakespeare, Sonett CXXII, übersetzt von Christa Schuenke
Stop all the clocks, cut off the telephone,
Prevent the dog from barking with a juicy bone,
Silence the pianos and with muffled drum
Bring out the coffin, let the mourners come.
Let aeroplanes circle moaning overhead
Scribbling on the sky the message He Is Dead,
Put crêpe bows round the white necks of the public doves,
Let the traffic policemen wear black cotton gloves.
He was my North, my South, my East and West,
My working week and my Sunday rest,
My noon, my midnight, my talk, my song;
I thought that love would last forever: I was wrong.
The stars are not wanted now; put out every one,
Pack up the moon and dismantle the sun,
Pour away the ocean and sweep up the wood;
For nothing now can ever come to any good.
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Der englische Dichter Wystan Hugh Auden (1907 bis 1973) studierte am Christ Church College in Oxford, das er 1928 mit dem B. A. verließ. Wie sein enger Freund und zeitweiliger Liebhaber Christopher Isherwood lebte er ausgangs der 1920er Jahre ein Jahr in Berlin, wo er die lebendige schwule Subkultur genoss. Er zog aus der deutschen Kapitale fort, vom aufsteigenden Nationalsozialismus desillusioniert, und arbeitete in Schottland als Lehrer. 1938 heiratete er Erika Mann, um ihr einen britischen Pass zu verschaffen. 1939 emigrierte Auden gemeinsam mit Isherwood in die USA. In New York lernte er seinen Lebensgefährten Chester Kallman kennen, mit dem er bis zu seinem Tod zusammenlebte.
Seinen „Funeral Blues“ schrieb W. H. Auden im April 1936. Das Gedicht steht exemplarisch für Audens formvollendete Technik, seine Bildgewalt und seine lebenslange Beschäftigung mit Liebe und Eros. Das Gedicht, das im Angesicht des Verlustes eines geliebten Menschen vor stiller Trauer die Zeit anzuhalten sich bemüht, wurde noch einmal berühmt durch den englischen Film „Four weddings and a funeral“ von 1994. Dort hat Matthew seinen Partner Gareth verloren; um seinem Schmerz und seiner Trauer die passenden Worte zu verleihen, zitiert er in der Kirche vor dem Sarg seines Geliebten die Verse Audens. Die Kamera zeigt dabei die Gesichter der Trauergemeinde, unter ihnen viele Freundinnen und Freunde Matthews, die sich permanent auf Hochzeiten treffen und nun den ersten aus ihren Reihen zu Grabe tragen müssen.
Im Zentrum der Clique steht der notorische Junggeselle Charles aus London, der sich während der Hochzeitsfeier eines Freundes in die junge Amerikanerin Carrie verliebt. Die beiden verbringen eine Liebesnacht miteinander, nach der Carrie zurück in die Staaten geht. Sie begegnen sich bei der nächsten Eheschließung im Freundeskreise wieder, Charles spürt seine Liebe zu Carrie, die ihm aber von ihrer Verlobung berichtet. Charles sucht ritterlich mit Carrie ein Hochzeitskleid für sie aus und sagt zu, zur Trauung zu kommen. Bei der Feier schließlich offenbart Fiona, eine langjährige Freundin Charles‘, dass sie wiederum seit langem in ihn verliebt ist. Dieser muntere Reigen erfährt eine schroffe Unterbrechung, als Gareth beim Tanz einem Herzinfarkt erliegt. Als Matthew beim Begräbnis den „Funeral Blues“ zitiert, dämmert es den Freundinnen und Freunden, wie sehr er Gareth geliebt hat und dass die beiden wie ein Ehepaar gelebt haben.
Kürzlich hat Kerstin ihre enge Freundin Katharina auf ihrem letzten Weg begleitet. Gemeinsam mit ihrem Mann Gottfried hat sie Kerstin an einigen Wendepunkten ihres Lebens als rettender Engel zur Seite gestanden; daher spricht Kerstin von den beiden als von ihren zweiten Eltern. Etwa 20 Gäste sitzen in der kleinen Friedhofskapelle in Schmargendorf, der helle Sarg ist mit weißen Lilien geschmückt, mehrere wuchtige Kränze und gelb leuchtende Buketts lehnen an seiner Seite. Schließlich steht ein Mann auf, geht nach vorn und spielt ein langsames Thema auf seiner Geige. Als es endet, erwartet Kerstin eine Rede des Abschieds, doch der Musiker spielt wortlos das nächste Stück. Nach insgesamt sieben getragenen Melodien aus dem klassischen Repertoire öffnet sich die Tür der Kapelle von außen, sechs Männer in Schwarz treten ein und tragen den Sarg ins Freie.
Gottfried, gestützt auf seinen Rollator, führt das gemessene Defilee der Trauernden hinter dem Sarg seiner Frau an. Der Violinist improvisiert im Gehen; als die schweigende Gemeinde sich am offenen Grab versammelt, erstirbt das Instrument. Wortlos lassen die Sargträger das Holz in die Erde, nach und nach treten die Anwesenden heran und werfen rituell eine Handvoll Erde hinterher. Als Kerstin in die Grube blickt, schlägt sie das Kreuzzeichen, bevor sie Katharina für immer in Gedanken Adieu sagt. Sie ergreift Gottfrieds Hand und umarmt den alten Mann, dieser bedankt sich mit schwacher Stimme für ihr Kommen. Ohne ein gemeinsames Wort zu sprechen oder zu singen, zerstreut sich die Gruppe schließlich. Möge sich jeder seinen eigenen Reim auf ihren Tod machen, scheint Katharinas Letzter Wille gewesen zu sein, die Vögel singen in der hellen Mittagssonne.
Im Film „Four Weddings and a funeral“ werden die Liebe und der Tod miteinander gekoppelt, sie bilden zwei Seiten einer Welt, die beide braucht. Die Feier der hetero- wie der homosexuellen Liebe gibt dem Gute-Laune-Film eine erfrischend politische Dimension, wenn auch ohne schwulen Kuss. Am Ende dieser Komödie kommen alle Protagonisten zu ihrem Glück, Charles und Carrie finden endlich zusammen, auch Matthew trifft nach dem Tod seines Partners einen neuen Freund. Seine Trauer über den Verlust musste er aushalten, seinen Gareth musste er loslassen, um dann später für eine neue Liebe offen zu werden. Schwule konnten zur Zeit der Entstehung des posh Films in England nicht heiraten, was sie nicht von einer Partnerschaft abhielt; die berühmten Autoren Christopher Isherwood und W. H. Auden haben das zwei Generationen vorher mit ihren Gefährten in den USA gezeigt.
Von den tragenden Figuren des Films haben bereits zwei im realen Dasein diese Erde verlassen. Das Leben endet in der Regel tödlich, auch wenn man sich inmitten der fröhlichen Clique gegen das Sterben immun meint. Kerstin fährt mit dem Rad durch die geschäftigen Straßen nach Charlottenburg, ein weiteres Zimmer ihres Lebenshauses ist nun leer. Sie setzt sich an den Schreibtisch und nimmt ihre Arbeit am Text wieder auf. Eine Hochzeit wird sie nimmer feiern, ihren eigenen Heimgang wird sie aber sicher bekommen. Sie vermag sich partout nicht vorzustellen, wer ihr dabei wohl Bonne Route wünschen könnte; ganz bestimmt wird niemand die ewigen Strophen W. H. Audens oder William Shakespeares anstimmen. Sie nimmt sich vor, endlich für ihr Ende Vorsorge zu treffen. Sie wird sich einäschern und anonym verstreuen lassen, dabei ihre Lieblingsbücher und ein Schachspiel mit ins Feuer nehmend. Eine Annonce in der Zeitung wird es nicht geben, eine Zeremonie des Übergangs ebenso wenig, katholisch hin oder her. Auch im Tod wird sie allein bleiben.