Das Präfix „inter“ bedeutet zwischen, in der Mitte von, beschreibt also ein übergreifendes Verhältnis zweier oder mehrerer Pole. Begriffe wie „international“ oder „interdisziplinär“ sind gängig, vom Terminus „intersexuell“ lässt sich das nicht sagen. Ein aufsehenerregender Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) vom November 2017 dürfte dazu beitragen, dass Begriff und Sachverhalt nun über die Kreise der Medizin, der Justiz und der Aktivisten hinaus bekannt werden.
Der Erste Senat des BVG hat Ende letzten Jahres entschieden, dass die Regelungen des deutschen Personenstandsrechts mit den grundgesetzlichen Anforderungen insoweit nicht vereinbar sind, als dass § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) neben dem Eintrag „weiblich“ oder „männlich“ keine weitere Möglichkeit bietet, ein Geschlecht positiv eintragen zu lassen. Der Gesetzgeber hat nun bis zum 31. Dezember 2018 Zeit, eine Neuregelung zu schaffen. (Aktenzeichen: 1 BvR 2019/16)
In einer Pressemitteilung führt das BVG begründend aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) die geschlechtliche Identität auch derjenigen Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, schütze. Darüber hinaus verstoße das geltende Personenstandsrecht auch gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG), soweit die Eintragung eines anderen Geschlechts als „männlich“ oder „weiblich“ ausgeschlossen werde.
Die die Verfassungsbeschwerde führende Person hatte beim zuständigen Standesamt die Berichtigung ihres Geburtseintrags dahin gehend beantragt, dass die bisherige Geschlechtsangabe „weiblich“ gestrichen und die Angabe „inter/divers“, hilfsweise nur „divers“ eingetragen werde. Das Standesamt hatte den Antrag mit Hinweis darauf abgelehnt, dass nach deutschem Personenstandsrecht im Geburtenregister ein Kind entweder dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zuzuordnen oder aber dass das Geschlecht nicht einzutragen sei.
Karlsruhe macht sich mit diesem Beschluss die Sichtweise jener Organisationen (etwa dritte-option.de oder transinterqueer.org) zu eigen, die das Geschlecht nicht bipolar betrachten, sondern als ein Spektrum unterschiedlicher Schattierungen: „Der Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die individuelle Identität herausragende Bedeutung zu; sie nimmt typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird. Dabei ist auch die geschlechtliche Identität jener Personen geschützt, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind.“ Damit ist ein Geschlecht neben männlich und weiblich nicht neutral, residual oder als Leerstelle zu fassen, sondern so gleichwertig wie anerkennend zu bezeichnen.
In der Praxis sind von diesen Überlegungen vor allem intersexuelle Menschen betroffen, bei denen der Chromosomensatz nicht zum Aussehen des Genitales passt, das Genitale selbst uneindeutig ist oder sowohl Hoden- als auch Eierstockgewebe vorhanden sind und die im (früh)kindlichen Alter chirurgischen Eingriffen zur Geschlechtszuweisung ausgesetzt waren resp. sind. Gegenüber der ÄrzteZeitung spricht Paul Martin Holterhus, Professor für Pädiatrische Endokrinologie in Kiel, von knapp 10.000 Personen in Deutschland.
Die Ursachen einer somatischen Intersexualität seien ungeklärt, nach Holterhus sind sie chromosomal, monogenetisch oder multifaktoriell bedingt; von Operationen „aus rein kosmetischen Gründen beim nicht zustimmungsfähigen Kind“ rät Holterhus ab. Eine quantitative Studie von 2016 verdeutlicht dessen ungeachtet, dass – trotz der seit 2005 vorgenommenen Revisionen medizinischer Leitlinien und trotz der vom Deutschen Ethikrat 2012 angestoßenen politischen Debatte über Intersexualität – die Anzahl der kosmetischen Genitaloperationen im Kindesalter nicht rückläufig ist.
Der zitierte, von Betroffenengruppen einhellig begrüßte Beschluss des BVG ist zweifelsfrei ein Meilenstein in Fragen der Selbstbestimmung geschlechtlicher Minderheiten. Seine Konsequenzen für das gesellschaftliche Leben in Deutschland, soweit es sich in der Sprache ausdrückt, sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum absehbar. Der Raum „zwischen“ den Geschlechtern (m/w) aber verliert seinen Charakter eines Niemandslandes – denn erst, wer einen Namen hat, existiert. Nun ist der Bundestag in Kooperation mit der neu gewählten Bundesregierung am Zug. Der Gesetzgeber hat noch achteinhalb Monate Zeit, den Beschluss des BVG in geltendes Recht umzusetzen. Tertium datur.