Kirche

  Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. – Mt 16,18

Die „Kirche“, vom griechischen kyriakos, zum Herrn gehörig, hat mehrere Bedeutungsebenen. Der Begriff steht zum einen handfest für ein dem Gottesdienst geweihtes Gebäude, zum anderen für die Gemeinde, die sich zu diesem Zweck versammelt; nicht zuletzt für die über die Erde verstreute Christenheit, die sich im Glauben an Jesus einig weiß, vom Papst über die Bischöfe bis zu den örtlichen Priestern, den Lektorinnen und Ministranten. Zivilrechtlich kommt die Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechtes daher, deren Finanzierung in Deutschland über die vom Staat einbehaltene Kirchensteuer geschieht.

Auf allen Ebenen steht die katholische Kirche in Deutschland unter einem beispiellosen Druck, die Corona-Pandemie wirkt zusätzlich als Beschleuniger einer Erosion. Die Mitgliederzahlen kennen seit langem nur noch den Weg nach unten: Im Jahr 2010 bekannten sich noch 24,6 Millionen Menschen zur römisch-katholischen Kirche, zehn Jahre später bereits zwei Millionen weniger. Neue Gläubige durch Taufe, Konversion, Zuzug und Wiederaufnahme können bei weitem nicht die Sterbefälle und die Austritte aus der katholischen Kirche kompensieren. Letztere werden auch durch das absurde Verhalten der deutschen Kardinäle im Skandal um jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche angestoßen. Der notorische Priestermangel nagt zusätzlich an der Institution, der Idee und der Gemeinde. Im Osten des Landes liegt der Katholikenanteil deutlich unter 8 %, hier nimmt die Kirche den Charakter einer Sekte an.

Und als sei das nicht bereits gravierend genug, befördert die Kirche ihren Aderlass durch eine willfährige Adaption der politisch verhängten fragwürdigen Corona-Maßnahmen. In der Fastenzeit 2020 sperrten die Kirchen ihre Türen auf Geheiß der Bischöfe über Wochen zu und die Seelennöte aus. Das Osterfest als Höhepunkt des Kirchenjahres wurde erstmals in der 2000 Jahre währenden Geschichte nicht gefeiert, die verunsicherten Gläubigen wurden sich selbst überlassen und mit sterilen Videos auf YouTube abgespeist. Im Sommer 2020 zog dann für wenige Monate so etwas wie Vertrautheit in die sakralen Gemäuer ein, bevor dann im Frühherbst das scharfe Programm mit Maskenpflicht, Abstandsgebot, Gesangsverbot und Erhebung der Kontaktdaten durchschlug. In der erwartbaren Folge wurden die Gläubigen voneinander isoliert, die ohnehin schon niedrigen Zahlen der Messfeiernden sanken weiter.

Der Besuch eines Gottesdienstes in der Fastenzeit 2021 ist nur deprimierend zu nennen. Auch die Kirche hat längst ein Einbahnstraßensystem zum Betreten und Verlassen des Gotteshauses etabliert. Auf den Bänken kleben Schildchen, die das Sitzen und Knien regulieren; die Weihwasserbecken sind seit einem Jahr leer, das Gotteslob wird ebenso lange nicht ausgeteilt. Der Priester ist die einzige Person, die während der Feier frei atmen darf, alle anderen ringen hinter dem Textil nach Luft. Die Gesichtsmasken verfremden die Gesichter und vergrößern den physischen Abstand zwischen den Gläubigen noch, von einer Gemeinschaft im Glauben kann keine Rede sein. Die kollektiv vorgetragenen Gebete werden durch das Tuch vorm Mund erstickt, das nur kurz zum Empfang der Kommunion gelüftet werden darf. Über allem liegt die schlechte Akustik des Kirchenraumes, die das vor einer Sekunde gegebene Wort des Priesters über das gerade gesprochene legt.

Zu virenfreien Zeiten ist ein Gottesdienst einem Drama vergleichbar, bei dem die Gemeindemitglieder Darsteller und Publikum in einem sind. Die Choreographie der Messe ist ausgeklügelt, jeder Schritt des Priesters und jede Geste der Gläubigen greifen ineinander zum höchsten Lobe Gottes, die Orgel akzentuiert die einzelnen Elemente der Begegnung im Glauben. Durch die Feier der Eucharistie wird der Kirchbau zu einem heiligen Raum, den die Gläubigen in sich spüren und nach außen tragen. Die Lesung aus dem Evangelium und die Predigt bieten die Gelegenheit ergreifender Poesie, die die profane Wirklichkeit überschreitet. Von diesem Glaubenswunder der Anwesenheit Jesu in seiner Kirche ist unter dem Corona-Regime wenig übriggeblieben, auf der Bühne rund um den Altar und das Gestühl wird nur mehr eine matte Pantomime gegeben. Die Predigt als idealerweise rhetorisches Juwel versandet in den schlaffen Parolen zum Durchhalten und klingt wie eine verbrämte Regierungserklärung.

Der Tiefpunkt der Traurigkeit des Geschehens ist der ausfallende Gesang der Gemeinde zum Gloria und zum Sanctus. Hier stimmt der Kantor an der Orgel die Verse an und antwortet sich selbst durch das Ziehen weiterer Register, wo üblicherweise die Gemeinde singen sollte. Das eigentlich Verbindende des gemeinsam gefeierten Glaubens, das sich auch im Singen im Chor zeigt, löst sich auf, innige Lieder sind komplett gestrichen. So wird es auch die traditionellen Passionen am nahenden Osterfest nicht geben, das zum Hochamt der Einsamkeit mutieren wird. Die Kommunikation, um deren willen die Menschen eine Kirche erst besuchen, ist nachhaltig gestört, der Glaube erfährt eine unheilvolle Privatisierung. Die Kirche verfehlt ihren Auftrag der Seelsorge bewusst, doch der weltliche Appell zum Spenden in die Kollekte am Ausgang kommt verlässlich.

Geradezu obszön wird es, als der Priester vor der Erteilung des Segens auf die katholische Miserior-Fastenaktion 2021 „Es geht anders“ zu sprechen kommt. Langatmig wird die Situation bolivianischer Bauern geschildert, deren Lebensraum im Amazonasgebiet durch die staatliche Suche nach Gas bedroht sei. Die Gemeinde wird durch ihren Erzbischof zu einer großzügigen Spende zugunsten des Hilfswerks Miserior aufgerufen. Es ist schwer zu verstehen, dass die politisch herbeigeführte Armut in Deutschland durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie von der Kirche ignoriert wird; noch immer wird Deutschland als „reiches Land“ behauptet, ohne zu sehen, wie die Regierung mit ihrer absurden Politik Millionen Arbeitsplätze vernichtet, zahllose Existenzen ruiniert, Depressionen befördert und wirtschaftliches, soziales und seelisches Elend schafft. Dass zunehmend mehr Menschen hierzulande aus eigener finanzieller Kraft nicht mehr leben können, kommt dem Priester nicht in den Sinn. In gut katholischer Tradition wird Armut externalisiert, in diesem Fall nach Südamerika, wo man ihr mit Caritas begegnen kann.

Es steht zu befürchten, dass die Kirche sich zur Handlangerin einer Impfpflicht durch das Hauptportal machen wird. Niemand wird sie daran hindern können, von den Besuchern einer Messe die Vorlage eines negativen Corona-Testes oder den Nachweis einer bereits erfolgten Impfung zu fordern, digital zu hinterlegen auf dem Smartphone, das am Eingang der Kirche kontrolliert wird. Schließlich plant die EU für den Sommer die Einführung eines digitalen Impfpasses, um rechtzeitig zur Reisesaison die faktischen Grenzschließungen in Europa für Auserwählte aufzuheben. In ihrem Opportunismus wird sich die Kirche sicher nicht auf Seiten der Zögernden, Skeptischen und Nachdenklichen wiederfinden, sondern wie gehabt auf Seiten der Hirten, Kommandeure und Befehlshaber. Die mehrheitlich alten Gemeindemitglieder werden es sich nolens volens gefallen lassen, die anderen bleiben unfreiwillig außen vor.