Am Begriff des „Kommentars“ lässt sich der Strukturwandel der Öffentlichkeit durch das Internet exemplarisch ablesen. Traditionell steht der Kommentar (vom lateinischen commentari, „sich auf etwas besinnen“) für die Erklärung und die Interpretation eines Sachverhaltes. Priester predigen über eine Bibelstelle, Richter begründen ein Urteil, Journalisten kommentieren eine Meldung; diese Dualität zwischen Text und Auslegung wird im Netz zunehmend aufgehoben.
Einst war der Kommentar ein exklusiv publizistisches Genre: „In einem Kommentar, dem legitimen Platz aller Meinungsbildung, formuliert ein Journalist seine Ansicht“, wie es noch Wolf Schneider im Neuen Handbuch des Journalismus definierte. Heute ist er zusätzlich (hauptsächlich?) eine Einladung ans Publikums, sich zu allem und nichts zu äußern – meist emotional bis themenblind, wie ein Blick in die Kommentarspalte eines beliebigen Artikels im Netz offenbart.
Der technische Fortschritt senkt die sozialen Hürden der Diskursbeteiligung ungemein; das ist keineswegs ein Zugewinn an Demokratie, sondern führt zum Anschwellen des Narzissmus und der Vulgarität im medialen Raum. Aus diesem Grund haben etliche Zeitungen in ihren Onlineausgaben die Kommentarfunktion unter redaktionelle Kuratel gestellt – ein Schritt, der Facebook et al. mit ihrer auf Rückkopplung beruhenden Kommunikation noch bevorsteht.
Warum gibt es überhaupt Kommentare, sprechen die Fakten nicht für sich? Nicht zwingend, da es auf den Kontext ankommt. Einem Kommentar gehen zwei Dinge voraus: Zum einen ein Bericht, auf den er sich inhaltlich bezieht; zum anderen das Wissen zum Thema, das eine substantielle Einlassung erst erlaubt. Die journalistische Tugend der Trennung von Nachricht und Kommentar wird im Netz lauthals ignoriert, hier regiert allzu oft das Prinzip der Meinung ohne Ahnung.