Obama

Der US-Präsident hat vor der Presse in Washington zu Protokoll gegeben, dass der Geheimdienst CIA im Gefolge von 9/11 etliche Terrorverdächtige verschleppt, interniert und gefoltert habe. Barack Obama sagt weiter, dass die systematische Folterpraxis unrecht gewesen sei und nicht den amerikanischen Werten entspreche.

Starker Tobak. Nicht dass Obama sagt, was er sagt; schließlich ist die staatlich sanktionierte Menschenrechtsverletzung an Gefangenen durch die CIA seit 2002 aktenkundig. Sondern dass er so tut, als habe er dieses Thema von seinem Vorgänger geerbt. Den Präsidentschaftswahlkampf 2008 hat der Kandidat Barack Obama unter anderem mit dem Versprechen bestritten, das berüchtigte Gefangenenlager Guantánamo zu schließen. Kaum im Amt, hat er nichts unternommen, um seinen Worten auch Taten folgen zu lassen; vermutlich dachte er sich, dass Versprechen nur diejenigen binden, die an sie glauben. Es muss offen bleiben, ob in Guantánamo bis heute gefoltert wird, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten haben keinen Zutritt.

Vielleicht aber will der Jurist Obama auch nur von seiner eigenen Routine der Exekution zahlloser Terrorverdächtiger mittels Drohnen ablenken, die gegen das Völkerrecht verstößt. Seine hohe moralische Pose ist peinlich und dreist, sie fügt sich aber bestens ein in seine Politik wohlfeiler Ankündigungen. Dem Nobelpreiskomitee in Oslo wird hoffentlich noch heute beim Gedanken schlecht, ausgerechnet diesem Mann 2009 den Friedensnobelpreis verliehen zu haben.

 

Inklusion

Markus Rehm, Paralympicssieger im Weitsprung in London 2012, hat nun die Deutschen Meisterschaften im Weitsprung gewonnen. Der Leichtathlet ist einbeinig unterschenkelamputiert und tritt mit einer speziellen Prothese aus Karbon an. Er freut sich, dass er sich auch erfolgreich mit nichtbehinderten Sportlern messen kann und wäre ein sympathisches Beispiel gelebter Inklusion. Wäre da nicht der Deutsche Leichtathletik Verband vor.

Der DLV hat nämlich beschlossen, den besten deutschen Weitspringer nicht für die Europameisterschaften in Zürich zu nominieren: Seine Prothese verschaffe ihm beim Anlauf und beim Absprung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Springern mit Achillessehnen und Sprunggelenken, sei also als Technikdoping zu werten. Dass Markus Rehm seinen Sieg möglicherweise auch anderen Faktoren verdankt, wie etwa konsequentem Training, exakter Ernährung, genetischen Dispositionen oder einfach der passenden Tagesform, geht in der physikalischen Beweisführung unter.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass Inklusion dann zum Problem wird, wenn die einzuschließende Minderheit die Normen der aufnehmenden Mehrheit übertrifft resp. überspringt und sie durch ihre schiere Anwesenheit verändert. Das Einweg-Konzept der Inklusion funktioniert offenbar nur unter den impliziten Bedingungen der Allgemeinheit, wobei das Prinzip der Vergleichbarkeit von Leistungen als Alibi benutzt wird, um die Definitionshoheit zu behaupten. Fair Play ist das nicht.

Der meist gesuchteste

Neulich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, vor der Übertragung eines WM-Spiels. Der Moderator und sein Gesprächspartner, ein ehemaliger Fußballprofi, reden vor der atemberaubenden Kulisse der Copacabana über einen Spieler, der in einem zurückliegenden Spiel für Furore gesorgt hat. Der Moderator, Anfang 30, nettes Gesicht hinter modischer Brille, charakterisiert ihn als den „meist gesuchtesten Spieler“ auf Facebook, Google und Twitter. Der Exfußballer schluckt kurz ob dieses Lapsus und übergeht den fehlerhaften Superlativ. Der Moderator hat ihn nicht einmal bemerkt.

Wer weiß, vielleicht haben ARD und ZDF in ihrem Pool einfach keine Journalisten mehr, die Adjektive richtig steigern können. Es muss, wenig überraschend, der „meist gesuchte“ oder auch der „am häufigsten gesuchte“ Spieler heißen. Die gezierte Wendung „der gesuchteste“ Spieler wäre auch korrekt, höbe aber das Niveau des Prä-Partie-Geplauders zu hoch an, als dass das unterstellte Publikum den beiden Fachsimpelnden noch folgen könnte. Vermutlich ist ohnehin kaum jemandem in der Redaktion der Fehler aufgefallen, ein Sender-Kalkül als Plaidoyer für das Weiter So!

 

H & M

Wer heute durch eine europäische Innenstadt flaniert, findet unter den Geschäften keine verlässlichen Hinweise, in welchem Land er resp. sie sich befindet; von Kopenhagen über München und Wien bis Barcelona dominieren die immer gleichen Ketten, die die Mieten für die 1a-Lagen aufbringen können. Repräsentant der Gleichförmigkeit der Malls, Zentren und Arkaden ist der schwedische Konzern H & M, dessen poppiges Logo speziell die Frauen global zum Kaufen animiert.

H & M, der führende Textildiscounter, gibt die Impulse der schnelllebigen Modebranche; im Zweiwochenrhythmus hängen neue Fähnchen auf den Bügeln, dreist die Schnitte der Haute Couture imitierend, von Gisele Bündchen präsentiert, in asiatischen Sweatshops genäht, nach drei Wäschen nur noch als Putzlumpen taugend, wie geschaffen für Körper, Geist und Portmonnaie pubertierender Mädchen. Doch deren Mütter wollen an der Jugend ihrer Töchter teilhaben und gehen mit ihnen shoppen – so liest sich die Abkürzung H & M als Her and Mom.

Die Lange Nacht der …

Das Label der „Langen Nacht der Museen“ ist seit rund zwanzig Jahren etabliert, die unter dieser Bezeichnung republikweit inszenierten Veranstaltungen locken Zehntausende Menschen in die Sammlungen und Ausstellungen. Offenbar ist der Brand der „Langen Nacht“ nicht markenrechtlich geschützt; so kommt es mittlerweile zur Extension auf andere Felder wie die der Wissenschaften, der Technik und des Sports. Warum nicht.

Man kann mäkeln, dass die in Museen und anderen Instituten verbrachte „Nacht“ schon um 2:00 Uhr morgens endet, zu diesem Zeitpunkt geht es in den Clubs erst richtig los. Unfreiwillig komisch aber sind zwei jüngere Adaptionen: Eine „Lange Nacht der Familie“ kommt bei Paaren mit Kindern nahezu täglich resp. nächtlich vor, wenn die Kleinen im Zweistundenrhythmus wach werden und mit ihrem Geschrei Mami und Papi um den Schlaf bringen. Doch wer weiß, vielleicht finden junge Eltern ja für diesen Termin einen Babysitter.

Geradezu grotesk ist die jüngste Kreation der „Langen Nacht der Gastronomieberufe“ – diese Informationsveranstaltung für junge Ausbildungswillige läuft allen Ernstes von 15:00 bis 21:00 Uhr. Soll dergestalt darüber hinweg getäuscht werden, dass Kellnerinnen und Barkeeper durchaus mal um 6:00 Uhr in den Feiermorgen gehen? Obacht, durch diesen Schindluder wird der Markenkern der „Langen Nacht“ zuverlässig verwässert.

Für Karl Kraus

Der Duden wurde hier bereits empfohlen als verlässliche Quelle guten wie richtigen Sprechens und Schreibens. Doch an wen sollte ich mich in Sachen Stil und Eleganz halten, sobald ich das Wort ergreife? Das hängt natürlich von persönlichen Leseerfahrungen ab, je früher diese gemacht wurden, umso besser. Eine Referenz aber ist in dieser Hinsicht unumgänglich: Der immergrüne Herausgeber der Fackel, Karl Kraus (1874 – 1936).

Dieser schweflige Wiener Spötter ist bis heute unnachahmlich in seinem Witz, seiner Chuzpe und seiner zärtlichen Bosheit, wenn es um die viel zitierte – und so selten treue – Liebe zur Sprache geht. Kraus‘ Aphorismen und Meditationen zum passenden Deutsch sind stets aufs Neue belebend, die Sinne schärfend und erheiternd. Seine Verse, Strophen und Essays schulen einen gewandten wie achtsamen Umgang mit der Sprache, der über das Tagesgeschäft hinaus eine spirituelle Note birgt. Oder in seinen eigenen Worten: „Die Sprache ist die einzige Chimäre, deren Trugkraft ohne Ende ist, die Unerschöpflichkeit, an der das Leben nicht verarmt. Der Mensch lerne, ihr zu dienen!“

Fuck the EU

Wenn eine Formulierung als „diplomatisch“ bezeichnet wird, ist im Allgemeinen damit gemeint, dass ein Sachverhalt besonders vorsichtig und höflich ausgedrückt wird. Niemand soll vom Gesagten brüskiert werden, zu große Direktheit schadet der Sache. Verklausulierungen, Phrasen und Leerformeln sind die Essenzen einer Sprache unter Diplomaten, die die hohle Kunst des Nichtssagens durch Andeutung perfekt beherrschen.

Und dann das. Die US-Diplomatin Victoria Nuland hat in einem Telefonat mit einem Kollegen die Schlichtungsbemühungen der Europäischen Union in der Krise in der Ukraine mit den harschen Worten: „Fuck the EU!“ kommentiert. Drastischer lässt sich nicht sagen, was die US-Administration von ihren so genannten Partnern in Europa hält, nämlich nichts. Frau No-EU-Land wird in die Geschichte der politischen Kommunikation als diejenige eingehen, die das Vokabular der Diplomatie um die berüchtigten Four-Letter-Words erweitert hat, passend zu ihrem imperialen Denken.

Der_Unterstrich

Sprache bildet nicht nur Realitäten ab, sie schafft auch welche. Es ist ein Unterschied, ob von den „Freunden“ die Rede ist oder von den „Freundinnen und Freunden“. Die im ersten Fall mitgemeinten Frauen gehen unter, im zweiten Fall stehen sie gleichberechtigt neben den Männern. So weit, so gut, so einfach.

Die politisch korrekte Pluralbildung ist auf Dauer umständlich, deswegen hat sich im links-alternativen Milieu das Binnen-I etabliert: Dort heißt es dann „FreundInnen“, zumindest in der geschriebenen Sprache werden Männer und Frauen in einem Wort aufgehoben. Doch damit nicht genug; die jüngste Entwicklung auf dem Feld der sprachlichen Kreation geschlechtlicher Verhältnisse ist der Unterstrich, neudeutsch auch gender gap genannt. Die „Freund_innen“ schließen neben den Männern und Frauen auch jene Menschen ein, die sich im polaren System der zwei Geschlechter nicht repräsentiert sehen.

Das Anliegen erscheint berechtigt, allein die Lösung ist missraten. Beim Lesen stolpern die Interessierten (ein Beispiel einer defensiv neutralen Pluralbildung) über die Lücke zwischen Mann und Frau, die der Unterstrich markiert – aber eben auf Kosten des Leseflusses. Das Manko des Unterstriches ist seine Herkunft als Sonderzeichen, nicht als Buchstabe. Dergestalt werden längere Texte mit hässlichen Löchern versehen, die gut gemeinte Absicht schlägt um in eine Dauerirritation. Es bleibt – aus Liebe zur Sprache – zu hoffen, dass typografisch wie ästhetisch befriedigendere Vorschläge gemacht werden.

 

 

Suboptimal

Die Sprache unterliegt Regeln, und sie unterliegt Moden. Leider kommt es immer wieder vor, dass sich die Mode über die Regel hinweg setzt und damit mehr Schaden als Nutzen stiftet. Ein notorisches Beispiel des ungeprüften Einzugs so manchen Begriffs aus dem Vokabular der BWL in die  Umgangssprache ist „suboptimal“, eine Kreation im Sinne von „weniger gut“.

Leider wird bei der inflationären Verwendung von „suboptimal“ übersehen, dass es Adjektive gibt, die keinen Komparativ oder gar Superlativ kennen: Begriffe wie fertig, perfekt, vollkommen oder eben optimal lassen sich nicht steigern, ebenso wenig minimieren, wie im konkreten Fall das Präfix „sub“ nahe legt. Viel eleganter (und nebenbei korrekt) ist etwa die Formulierung „verbesserungswürdig“, in jedwedem Jargon.

Koalitionsverhandlungen

Das neueste Unwort aus dem an Worthülsen überreichen Politikbetrieb. Seit einer kleinen Ewigkeit kommen Union und SPD in grotesk aufgeblähten Kommissionen zusammen, um Gründe für das Scheitern einer Zusammenarbeit zu finden. In der Woche neun nach der Bundestagswahl 2013 ist eine funktionierende Regierung weiter nicht in Sicht; gleich Untoten bleiben Minister einer nicht mehr im Bundestag vertretenen Partei geschäftsführend im Amt, während das Parlament an der Aufnahme seiner Arbeit gehindert wird.

Bei den Unterhauswahlen in Großbritannien 2010 verfehlten die Tories die absolute Mehrheit und mussten sich in den Liberalen einen Partner suchen; das wahrlich nicht koalitionserprobte britische Königreich verfügte fünf (!) Tage nach der Wahl über eine neue arbeitsfähige Regierung. So also kann Parlamentarismus aussehen. Wie autistisch muss es rund um den Berliner Reichstag zugehen, wenn sich die Politikdarsteller beharrlich vor dem Willen des Volkes drücken und sich bis weit in den Advent in Kollisionsverhandlungen ergehen.