Caitlyn? Chelsea!

Ein aktuelles Lieblingsthema der Medien scheint die wachsende Sichtbarkeit von Trans*menschen zu sein. Auf Foren und Blogs sowie in Zeitungsartikeln, Talkshows und Filmen geht es vermehrt um Menschen, die sich aufmachen, ihr Geburtsgeschlecht zu verlassen, um in ihrer seit jeher empfundenen Identität anzukommen. Meist geraten diese Portraits sensibel und respektvoll, durchsetzt mit Bemühen um Verständnis und Akzeptanz.

Im Fall Caitlyn aka Bruce Jenner aber kommen den berichtenden Journalisten alle passablen Maßstäbe abhanden. Der Gewinner der Goldmedaille im Zehnkampf bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal wird gerade zu einer Ikone des weltweiten Kampfes der Emanzipation von Trans*menschen hochgejazzt – und ist doch nur geeignet, das überwunden geglaubte Bild der halbseidenen, schrillen Transsexuellen zu festigen.

Denn erstens hat Jenner seine/ihre Prominenz im Trash-TV rund um den peinlichen Kardashian-Clan erlangt, in den er vor Jahren einheiratete, um dort als Patriarch zu viel Geld zu gelangen. Zweitens bekommt Caitlyn ob des eigenen Reichtums nichts mit von den existenziellen biographischen Brüchen so vieler Trans*frauen nach dem Coming-out; wer kann sich schon umfassend der schmeichelnden Segnungen der plastischen Chirurgie bedienen und wird von Annie Leibovitz für die Vanity Fair abgelichtet? Drittens schließlich ist es ein Zeichen erklärter Feigheit, im welken Alter von 65 das Trans*sein nachholend öffentlich zu machen, eine klare Mißachtung der zahlreichen Pionier*innen vergangener Jahrzehnte.

Die kleine Trans*gemeinde sollte sich hüten, ausgerechnet dieses Plastikprodukt zum Vorbild zu erheben und in dessen Kielwasser auf mehr Gleichberechtigung zu hoffen. Vielmehr sollte sie dafür streiten, dass Chelsea Manning nicht vollends in Vergessenheit gerät, die in einem Militärgefängnis für ihren Mut einsitzt, Dokumente über US-Kriegsverbrechen an die Plattform Wikileaks übermittelt zu haben. Auf das nüchterne Urteil der Journaille sollte sie dabei nicht setzen, diese lässt sich nur zu gern von Hochglanzbildern inszenierter Bedeutsamkeit blenden.

Wir alle

Ganz egal, ob es um Flüchtlinge geht, die Krise Griechenlands, die Nutzung tragbarer Telefoncomputer oder die Kindererziehung – in den Medien dieses Landes nehmen die Schlagzeilen und Titel dramatisch zu, die davon künden, was wir zu tun oder zu unterlassen haben. Wir müssen mehr Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten, wir haben die Pflicht, Griechenland im Euro zu halten, wir sind auf dem besten Wege, von Smartphones abhängig zu werden, wir überfordern unsere Kleinsten, die schon mit zwei Jahren in der Kita Mandarin lernen müssen.

Beim Lesen und Nachdenken dieser im hohen Ton des Alarmismus vorgetragenen Thesen stellt sich die Frage, wer zu diesem imaginären „wir“ eigentlich gehören soll? Es scheint im permanenten Wettstreit zwischen traditionellen Medien und dem Social Web eine grobe Strategie des Boulevards zu sein, immerzu „uns“ anzusprechen, als ließe sich nur so eine Prise Aufmerksamkeit generieren; ein Trend, der längst auch seriöse Blätter von der Süddeutschen bis zur ZEIT erfasst hat. Doch was für Pfarrer am Ambo oder Politiker im Wahlkampf statthaft sein mag, nämlich eine Gemeinschaft sprachlich herzustellen und von dieser eine gemeinsame Position oder Handlung zu fordern, ist für Journalisten eine klare Untugend.

Es gehört sich nicht, die Grenze zwischen den Berichtenden, dem Thema und dem Publikum in einem vorgeblich einenden „Wir“ aufzuheben. Korrekter, sauberer Journalismus ist sich immer der Distanz der Erzählenden zum Objekt ihrer Darstellung bewusst, genau darin liegen im Übrigen seine Unabhängigkeit und der Garant, ernst genommen zu werden. Die Sympathie zum Thema mag vorhanden sein – sie darf niemals dazu führen, die in aller Regel unterschiedlichen Interessen der Akteure, Chronisten und Rezipienten zu ignorieren. Ein umarmendes „Wir alle“ nimmt seine Adressaten nicht für voll, deklamiert im Vorfeld schon, was die Leser zu denken und zu fühlen haben. Wer auf diesem unheilvollen Pfad der Eingemeindung weiter schreitet, braucht sich nicht zu wundern, wenn mehr und mehr Menschen sich ganz der flachen, vermeintlich kostenlosen Häppchenkultur der Blogs, Foren und Sites überlassen, wo nicht unterschieden wird zwischen bezahltem Inhalt und glaubwürdig recherchierten Fakten. Zusammenhänge und Hintergründe geraten diesem Instantsprech ohnehin nicht in den Blick.

Schreibschrift

In Sachen Pisa ist Finnland eine Autorität, regelmäßig landen finnische Kinder und Jugendliche ganz weit vorn im internationalen Schulvergleich. Auch deshalb sorgt der Beschluss der finnischen Regierung, ab 2016 in den Grundschulen des Landes die Schreibschrift abzuschaffen, für gesteigerte Aufmerksamkeit. Die Entscheidung wird mit dem absurden Argument begründet, den heutigen Kindern sei es motorisch nicht länger zuzumuten, das flüssige Schreiben per Hand zu erlernen; stattdessen solle mehr Zeit für das Arbeiten an Monitor und Tastatur aufgewendet werden. Ist der finnischen Regierung eigentlich bewusst, dass sie dergestalt sekundäre Analphabeten heranzieht?

Und dann gibt es allen Ernstes ein Unternehmen, das seinen Kunden die Produktion von Karten, Briefen und weiteren Schriftstücken anbietet, die die Handschrift per Algorithmus imitieren. Weil ein per Hand geschriebener Text beim Empfänger mehr Zuwendung signalisiere als ein Printerzeugnis, das an Textbausteine, Massendruck und Behördendistanz denken lasse. Wer kennt nicht amtliche Verlautbarungen, die ohne Unterschrift – und damit ohne konkreten Absender und Ansprechpartner – auskommen. Doch offenbar gibt es in der Computerwelt mit ihren global einheitlichen Standards ein tiefes Bedürfnis nach Individualität und Originalität, das kaum besser als durch die einzigartige Handschrift befriedigt werden kann.

Denn diese ist so unverwechselbar wie ein Fingerabdruck, ein Scan der Iris oder gleich die ganze DNS. Außerdem hat die Handschrift, neben ihrer eindeutigen Charakterisierung der schreibenden Person, ökonomische Vorteile (sie kommt ohne Strom und Akku aus) und reklamiert hoheitliches Potenzial (noch muss der Reisepass eigenhändig unterschrieben werden). Ist es nicht ein Armutszeugnis, dass keine zehn Jahre nach dem Etablieren des Fingerwischens über schimmernde Glasflächen eine Jahrtausende alte Kulturtechnik suspendiert werden soll? Und ist es nicht grotesk, dass man eben dieses Erbe nun von Rechnern simulieren lassen will?

Lesetypographie

Sicher geht es beim Schreiben zuerst um den Inhalt. Doch gehört die Präsentation des Wortes ebenso zu seiner Wirkung wie dessen Formulierung. Die Gestaltung eines Textes ist impliziter Teil der Schreibarbeit. Es ist gut, wenn Autoren und Lektoren die Gesetze einer stimmigen Typographie kennen und wissen, wie sich ein Text so setzen lässt, dass er störungsfrei gelesen werden kann. Nicht, weil sie auch Setzer werden sollten, sondern um zu respektieren, dass ihre Arbeit ohne jene unvollständig wäre.

Das Hand-Werk, das in diesem Zusammenhang unbesehen empfohlen werden kann, ist die „Lesetypographie“ von Hans Peter Willberg und Friedrich Forssman. Die beiden Schriftgestalter haben bereits 1997 ein Kompendium zum Satz von Büchern veröffentlicht, das auch im digitalen 21. Jahrhundert nichts von seiner Klarheit, seiner Bedeutung und seinem Charme eingebüßt hat. Die Prinzipien zum flüssigen und harmonischen Lesen wurden bereits wenige Jahrzehnte nach der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern entwickelt; im Zeitalter der Graphikprogramme können Lösungen realisiert werden, die im Bleisatz noch utopisch waren. Und doch braucht es, heute wie damals, zu einer vollendeten Gestaltung eines Textes, ob nun für die Realisierung auf Papier oder im Netz, die Kenntnis der Regeln des Arrangierens von Schrift, Wort und Bild.

Auch wenn sich die „Lesetypographie“ an Layout-Profis richtet, können berufsmäßig Schreibende von ihr nur profitieren. Ob es um die Wahl der geeigneten Schrift geht, um den Einsatz von Auszeichnungen, um Flattersatz und Fußnoten, um Hurenkind und Schusterjungen – Typographie ist Inszenierung des Wortes, sie setzt fort, was die Autorin begonnen hat und die Leserin beenden wird. Gefeiert wird nicht in erster Linie die Schönheit eines sauber gestalteten Buches, vielmehr das Funktionieren eines Lesens ohne Hindernisse. Das erschöpfende Werk von Willberg und Forssman im Format DIN A4 ist haptisch mehr gereift denn gealtert, die Gebrauchsspuren tragen zu seiner Veredelung bei. Ruhig steht es im Regal und harrt weiterer Konsultationen. Dabei liest es sich fesselnd wie ein Roman, erhaben wie ein Kunstkatalog und erhellend wie ein Lexikon. Einmalig.

Der Dornseiff

Lässt sich der individuelle Stil trainieren? Gibt es einen Kanon unverzichtbarer Handbücher für professionell und leidenschaftlich Schreibende? Eine persönliche Note ist das unweigerliche Ergebnis lebenslangen Lesens und Schreibens, so weit, so nachvollziehbar. Sicher gibt es zahllose Fibeln, die den Lernwilligen das schöne und vermeintlich kreative Schreiben nahebringen wollen. Doch wer Vieles und Verschiedenes liest und schreibt, wird sich die Übungen zur Ausformung des Klangs schon selbst auferlegen. Da gelte das Motto: Dranbleiben!

Zwei Namen seien hier ausgerufen, Pflicht und Kür gewissermaßen. Der Duden sollte in Reichweite eines jeden Schreibtisches stehen; sicher jene Bände zur Rechtschreibung, zur Grammatik, zum Stil und zur Herkunft. Das Fremd- und das Synonymwörterbuch, die Sammlung der Redewendungen und jene der Zitate und Aussprüche machen sich ebenfalls gut. Auf diesem Fundament, wenn es denn regelmäßig beansprucht wird, lässt sich trefflich aufbauen. Und wer dann noch den Dornseiff sein Eigen nennt, kann nimmer verloren gehen im Ozean der Sprache.

Dieses Buch, im Untertitel „Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen“ geheißen, wurde 1934 erstmals veröffentlicht und liegt aktuell in überarbeiteter, achter Auflage (von 2004) vor. Der Philologe Franz Dornseiff (1888 – 1960) war nicht so vermessen zu glauben, den Stand der deutschen Sprache verbindlich abgebildet zu haben; sein unschätzbares Verdienst besteht im Ziehen von Querverbindungen zwischen einzelnen Wörtern, ihren Feldern und Bedeutungen. Man wird sein Werk nicht nur konsultieren auf der Suche nach einem sinnverwandten Wort für ein häufig verwendetes. Man greift vielmehr zum Dornseiff, um die exakte Verwendung eines Substantivs (Verbs, Adjektivs) über den Einzelfall hinaus zu treiben – es sind die Assoziationen, die die Lemmata mit ihren Worthaufen auslösen, die das eigene Schreiben befruchten und verschönern. Dergestalt wird man auf Schmuckstücke stoßen, von denen man vergessen hatte, dass man sie kennt.

Fernmündlich

Die Sprache ist ein lebender Organismus, der dauernd neue Wörter prüft und absorbiert, zum Standard gewordene Wörter pflegt und verbreitet und aus der Mode gekommene Wörter ablegt und ausscheidet. Schrittmacher dieser Evolution ist meist der wissenschaftlich-technische Fortschritt, der parallel zu neuen Produkten und Dienstleistungen passende Termini kreiert und diese via Nischenjargon in den breiten Fluss der Sprache einspeist. Manche haben eine kurze Konjunktur, andere behaupten sich dauerhaft.

Das schöne Wort „fernmündlich“, das Thomas Mann höchstselbst hätte schaffen können, steht definitiv auf der Liste der vom Verschwinden bedrohten Begriffe. Den Einzug in die Umgangssprache hat es nie geschafft, es blieb auf die Welt der Behörden mit ihren Erlassen beschränkt. Die einschlägigen Lexika weisen es als Synonym für „telefonisch“ aus. Das griechische Präfix „tele“ findet sich im Bedeutungskomplex „fern“ wieder, aus der griechischen Silbe „phon“ für Klang wird im Deutschen hier etwas überraschend der Mund.

Beim „fernmündlichen“ Gespräch hat man einen Menschen vor Augen, der aufrecht vor einem fest montierten Apparat steht, die Hörmuschel am Ohr und den Mund vor einem Sprachtrichter. Jahrzehnte später wurden Hören und Sprechen in einem Element des Telefons integriert, das selbst aber stationär blieb. Der Schall überwand die Weite, getragen über elektronische Impulse. Das ist im Prinzip noch heute so, nur dass die Instrumente Laufen gelernt haben. Mit dem variablen Standort der Telefonierenden ändert sich auch die Distanz der Sprechenden, aus einem „fernmündlichen“ kann durchaus ein naher, wenn auch durch ein Gerät vermittelter Kontakt werden. Der antiquiert anmutende Terminus ist ein Nachhall aus einer Zeit, in der Telefonate etwas Seltenes waren und obendrein unterteilt wurden in Orts- und Ferngespräche – ein Unterschied, den heutige mobile Geräte digital aufheben.

Der Rest ist Googlen

Das Leben ist so reichhaltig und voller Fragen – bei einer sinkenden Zahl von Antworten. Wie ist das möglich? Es liegt mal wieder am Internet, genauer an der Suchmaschine mit der weltweit marktbeherrschenden Stellung. Wer im Kollegen- oder Freundeskreis eine beliebige Frage nach einer Person, einem Datum oder einem Ort stellt, bekommt heute die Antwort „Schau doch mal bei Google nach!“, ganz so, als sei diese Replik bei der Sprecherin standardmäßig eingestellt.

Das Verstörende des Hinweises auf Google liegt weniger in seinem Quasimonopol, vielmehr im damit einhergehenden Denkverzicht. Die Frage in die Runde zielt ja auf Diskurs, möglicherweise auf Auseinandersetzung. Das geht aber nur, wenn Wissen in einem längeren Prozess lustvoller Anstrengung erworben wurde. Vor der Entwicklung der Schrift musste das zu tradierende Wissen im Hirn gespeichert werden, bevor es an die nächste Generation weitergegeben wurde. So kam es, dass in oralen Kulturen alte, erfahrene Menschen in hohem Ansehen standen, hatten sie doch einfach mehr Zeit als jüngere, Wissen sich anzueignen. Die Schrift nun dehnt das Gedächtnis kolossal aus, sie erlaubt das Festhalten von Wissen auf Papier, in Büchern und Bibliotheken, wo es ruht und wartet und potenziell allen des Lesens kundigen Menschen zugänglich ist.

Google übernimmt nun zusehens diese Funktion des Wissensvorrats, die dem Speichern von Daten und Fakten auf einer externen Festplatte gleichkommt. Das Gehirn verkommt dergestalt zum Arbeitsspeicher, in den fallweise Informationen aus der Cloud geladen werden, in der sie nach der Benutzung folgenfrei wieder versinken. Und was passiert zwischenzeitlich mit den brachliegenden Hirnarealen? Mit der Beantwortung überzeitlicher Fragen wie etwa der nach dem Sinn des Daseins oder der nach einer richtigen Lebensführung werden sie sich kaum beschäftigen – denn dazu gibt es doch sicher auch etwas von Google.

Das muss jeder für sich selbst entscheiden

Das Schöne an einer Diskussion ist der Austausch von Argumenten, die zu einer differenzierten Meinung führen. Dabei ist die geäußerte Ansicht zu einem Sachverhalt allein gar nicht entscheidend; es ist meist viel reizvoller zu sehen, warum jemand dieses oder jenes vertritt, was ihn resp. sie dazu gebracht hat, für die eine und nicht die andere Haltung zu optieren.

Die routiniert benutzte Floskel „Das muss jeder für sich selbst entscheiden“ unterläuft diese rhetorische Vereinbarung, sie stammt aus dem Reich der Meinungslosigkeit, tarnt sich aber als besonders großzügig. Der Hinweis auf die Entscheidungsnotwendigkeit der Einzelnen beendet eine Diskussion gerade dann, wenn im Sinne der Dialektik These und Antithese aufgeworfen sind und es an die Synthese geht. Stattdessen: Sackgasse, Vorhang, Sendeschluss.

Wer bekannt gibt, dass jeder für sich selbst zu entscheiden habe, entzieht sich einer Meinung und weicht einer Auseinandersetzung um ihre Begründung aus. Nur scheinbar schwingt in jener Phrase Respekt vor anderen Haltungen mit; tatsächlich offenbart sich die heimliche Angst, einer Präzisierung im Laufe einer Debatte nicht gewachsen zu sein. An einer Synthese sind nämlich nur solche beteiligt, die sich auch äußern – und nicht jene, die sich lieber auf Leerformeln beschränken.

Zugzwang

Wenn Journalisten politische Sachverhalte lebendig und packend darstellen möchten, benutzen sie bevorzugt Begriffe aus dem sprachlichen Feld des Sports. Eine Wendung à la „Putin setzt EU unter Zugzwang“ nimmt Anleihen beim Schach; sie meint, dass das Verhalten des russischen Präsidenten die EU unter einen besonderen Handlungsdruck setze, dass eine komplizierte Entscheidung mit möglicherweise unangenehmen Folgen in einem schwierigen Zusammenhang bevorstehe.

Dumm nur, dass das schöne deutsche Wort Zugzwang, das auch Einzug ins Englische und Französische gefunden hat, im Rahmen einer Schachpartie etwas anderes meint als das Gedrängtwerden zum Handeln. Wer im Schach unter Zugzwang steht, kann, egal, was er tut, die eigene Stellung nur verschlechtern. Der Begriff beschreibt eine Situation im Ausmaß antiker Tragödien, wo jede Wahl zum Desaster führt. Anders als im Schach, wo es neben dem Recht des Zuges auch die Pflicht dazu gibt, werden in der Politik Entscheidungen oft durch Wegschauen, Bagatellisieren und Aussitzen getroffen. Das sollten die Medien dann auch so benennen.

 

Erweiterte Verhörmethoden

Der Bericht des US-Senats zur Folterroutine des Auslandsgeheimdienstes CIA brachte nichts Neues. Wer sich mit dem so genannten Krieg gegen den Terror, ausgerufen 2001 von der Bush-Administration im Zuge von 9/11, beschäftigte, wusste schon vor zehn Jahren, dass die CIA-Agenten in Geheimgefängnissen auf der ganzen Welt verschleppte Gefangene unter Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit systematisch gefoltert haben. Zum Standardrepertoire gehörten Schläge, Tritte, Elektroschocks, simuliertes Ertränken, Fixierung in Stresspositionen, tagelanger Schlafentzug, verweigerte medizinische Behandlung, sensuelle Deprivation, sexuelle Demütigung und Verbrennungen. Diese Liste beschreibt keinen Exzess, sondern ein abgestuftes Programm.

Der Chef des Geheimdienstes spricht jetzt von „erweiterten Verhörmethoden“, die überdies wertvolle Informationen im Kampf gegen Al Quaida gebracht hätten. Dieser Gestapo-Jargon verschleiert indes, was in den Zellen tatsächlich geschah. In den Jahren 2002/3 legalisierten ranghohe Juristen des Pentagon die Folter, indem sie sie einfach umbenannten; eine sprachliche Praktik, die aus Militärdiktaturen geläufig ist. Dabei wussten selbst die spanischen Inquisitoren, dass Folter im Prozess der Wahrheitsfindung geradezu kontraproduktiv ist. Der Gefolterte wird alles zugeben, was der Folterer mutmaßlich hören will, nur damit die Tortur ende. Folter dient nur einem einzigen Ziel, dem Brechen der Identität des Opfers, seelisch, intellektuell, physisch.

Das wissen auch die USA. Dass sie nun von „erweiterten Verhörmethoden“, deren Anwender selbstredend von jeder Strafverfolgung verschont bleiben, reden, macht die Sache nicht besser. Die sprachliche Verharmlosung verhöhnt die Gequälten in den Schattenkellern ein weiteres Mal, sie delegitimiert den Kampf gegen Al Quaida und seine Ableger, weil es die wichtigste Ressource des Rechtsstaats, das Vertrauen, zerstört. Bleibt noch zu erwähnen, dass der aktuelle Präsident der USA seinen Wahlkampf 2008 mit der Forderung bestritt, das berüchtigte Folterzentrum Guantánamo müsse geschlossen werden. Nun ist er rund sechs Jahre im Amt, ohne dass sich auf Kuba Nennenswertes getan hätte. Wer weiß, wie dort die Verhöre aktuell geführt werden?