Pest

Wie reagiert eine Stadt, in der eine hoch ansteckende tödliche Krankheit ausbricht? Verfällt sie in Panik oder Lethargie, leistet sie Widerstand? Der französische Autor Albert Camus (1913 – 1960) beschreibt in seinem Roman „La Peste“ von 1947, wie der (fiktive) Ausbruch der Krankheit in der algerischen Stadt Oran das Leben auf den Tod verändert. Der Einbruch des Unheils in den Alltag mobilisiert neben dem Fluchtimpuls auch ungeahnte Kräfte des Helfens. Der Kampf gegen die Geißel gerät zur Revolte in einer sinnlosen Welt, Handeln wird zum Gegengift der Vergeblichkeit.

Albert Camus wurde 1913 in Mondovi geboren; sein Vater fiel im I. Weltkrieg. Seine Mutter arbeitete als Putzfrau, um ihre beiden Söhne durchzubringen. Der Fürsprache seiner Lehrer war es zu verdanken, dass Albert das Gymnasium besuchen konnte. Nach dem Baccalauréat 1932 studierte er Philosophie an der Universität in Algier und lernte hier seine erste Ehefrau kennen. Er trat der KPF bei und erlebte die Konflikte zwischen der algerischen Bevölkerung und der französischen Kolonialmacht. Parallel zum Studium schrieb er journalistische Texte, Szenen für das Theater und Erzählungen. Zu seinen literarischen Vorbildern zählten Fjodor Dostojewski, Herman Melville und Franz Kafka.

Wegen seiner Tuberkulose konnte er weder Lehrer werden noch Soldat nach dem Überfall der Wehrmacht auf Frankreich 1940. Zu dieser Zeit arbeitete Albert Camus in Paris als Reporter der Zeitung Paris-Soir. 1942 veröffentlichte er die Novelle „L’ Étranger“ und den Essay „Le Mythe de Sisyphe“; beim Verlag Gallimard bekam er eine Stelle als Lektor und engagierte sich zugleich in der Résistance gegen die deutschen Besatzer. Als Camus 1947 den Roman „La Peste“ publizierte, wurde er im Milieu der Existenzialisten neben Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir zum intellektuellen Star. Seine Sammlung politischer Essays „L’Homme révolté“ von 1951 führte zum Bruch mit Jean-Paul Sartre. Im Jahr 1957 wurde Albert Camus für sein Werk mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, Anfang 1960 kam er bei einem Autounfall in der Provence ums Leben.

Die Franzosen standen noch unter dem Eindruck des Kriegs, viele haben den Roman als Parabel auf die Jahre Frankreichs zwischen Kollaboration und Widerstand gelesen. Eines Morgens im April entdeckt der Arzt Dr. Bernard Rieux eine tote Ratte im Hausflur. In den folgenden Tagen kommen die Nager zu Tausenden aus ihren Löchern und krepieren im Licht. Und erste Fälle einer unheimlichen Krankheit quälen die Menschen: Sie leiden unter Atemnot, steinharten Lymphknoten, platzenden Eiterbeulen in den Leisten, heftigem Durst und hohem Fieber, dem der Tod binnen Tagen folgt.

Castel, ein älterer Kollege Rieux‘, bricht das Tabu: „‚Sie wissen natürlich, was es ist, Rieux?‘ fragte er ihn. ,Ich warte noch auf das Ergebnis der Analyse.‘ – ,Ich weiß es. Und ich brauche keine Analysen. Ich habe einen Teil meines Lebens in China zugebracht, und vor etwa zwanzig Jahren habe ich in Paris ein paar Fälle gesehen. Nur wagte niemand, das Kind gleich beim Namen zu nennen. Die öffentliche Meinung ist heilig: nur keine Aufregung, um Himmels willen keine Aufregung. Und dann, wie ein Kollege sagte: ,Das ist unmöglich, jedermann weiß, daß sie aus dem Abendland verschwunden ist.‘ Jawohl, außer den Toten wußten es alle. Keine Ausflüchte, Rieux, Sie wissen gerade so gut wie ich, was es ist.‘“

Die Pest (vom lateinischen pestis = Seuche, ICD-10: A20) ist eine durch das Bakterium Yersinia pestis verursachte Zoonose; sie wird auf den Menschen übertragen durch Flöhe, die auf Ratten nisten, Patienten streuen die Erreger über Tröpfchen weiter. Über die klinische Bezeichnung hinaus ist die Pest eine Metapher für Plage und Verderben; im Mittelalter trug sie den Beinamen des „Schwarzen Todes“. Heute ist sie auf epizootische und enzootische Herde in Bergwald- und Savannenregionen Asiens, Afrikas und Nordamerikas beschränkt. Nach einer Inkubationszeit von wenigen Stunden bis zwei Tagen führt ihr äußerst schmerzhafter Verlauf (falls unbehandelt) zum raschen Tod. Die Beulenpest ist gekennzeichnet durch Fieber, Gliederschmerzen, Schüttelfrost, Nekrosen, geschwollene Lymphknoten und Sepsis; die Symptome der Lungenpest sind blutiger Husten, Atemnot, Pulsrasen, Lungenödem und Kreislaufversagen. Schlechte Hygienebedingungen und beengte Wohnverhältnisse begünstigen die Verbreitung der Pestbakterien. Die Prophylaxe sieht Impfungen, Schutzanzüge, Ratten- und Flohbekämpfung sowie Quarantäne vor. Die Antibiotika zur medikamentösen Therapie wurden in den 1940er Jahren entwickelt.

Im Roman rufen die Behörden die Bevölkerung nach der ersten Leichenwelle zu besonderer Hygiene auf, geben die Herstellung eines Serums in Auftrag und meiden das Wort „Pest“ mit aller Gewalt. Doch lässt sich das Offensichtliche nicht länger verheimlichen, die Präfektur stellt die Stadt für unbestimmte Zeit unter Quarantäne. Diagnostizierte Patienten werden in eigens eingerichteten Spitälern isoliert, wo die Ärzte nicht mehr tun können, als ihrem entstellenden Sterben in Schmerz und Gestank zuzusehen. Ihre Maxime lautet, die nach geometrischen Mustern zu erwartende Weiterverbreitung der Bakterien zu stoppen. Die Ausrufung des Katastrophenfalls verändert das Leben der Menschen grundlegend: „Während unsere Mitbürger versuchten, sich an die plötzliche Verbannung zu gewöhnen, stellte die Pest Wachen an die Tore und leitete die Schiffe, die Oran anlaufen wollten, nach anderen Häfen um. Seit die Stadt geschlossen wurde, war kein einziges Fahrzeug mehr hineingekommen. Von diesem Tag an hatte man den Eindruck, die Autos begännen im Kreis herumzufahren.“

Die Stadt entwickelt eine Ökonomie der Seuche. Kinos zeigen monatelang die gleichen Filme, der trotz Papierknappheit gegründete „Epidemiebote“ dokumentiert das Sterben in amtlicher Statistik, die Versorgungslage wird immer kritischer, auf dem Schwarzmarkt werden Fluchtwege in die Freiheit gehandelt, nicht zuletzt haben Wahrsager aller Couleur Konjunktur. Während Dr. Rieux für den naturwissenschaftlich grundierten Umgang mit der Krankheit steht, nimmt der Jesuit Paneloux die metaphysische Position ein. Für ihn ist sie eine Sendung Gottes, die Menschen auf den rechten Pfad des Glaubens zu bringen: „Wenn euch heute die Pest anschaut, so deshalb, weil der Augenblick des Nachdenkens gekommen ist. Die Gerechten brauchen sich nicht davor zu fürchten, aber die Bösen haben Ursache zu zittern. In der unermeßlichen Scheuer des Weltalls wird der unerbittliche Dreschflegel das menschliche Korn dreschen, bis die Spreu vom Weizen geschieden ist.“

Dr. Rieux arbeitet bis zur Erschöpfung, auch wenn er den Kampf gegen die Seuche als „endlose Niederlage“ erlebt: „Das Heil der Menschen ist ein zu großes Wort für mich. Ich gehe nicht so weit. Mich geht ihre Gesundheit an, zuallererst ihre Gesundheit.“ Es muss schließlich Winter werden, bis die Zahl der Neuinfektionen fällt und das Feuer der Epidemie erlischt. Das Serum erzielt plötzlich eine Reihe von Erfolgen, die Benommenheit der Überlebenden klingt langsam ab. Im Stillen weiß Rieux, dass der Bazillus wiederkommen kann in eine einst glückliche Stadt; dieser Drohung können die Menschen nicht rein rational begegnen: „Weil die Plage das Maß des Menschlichen übersteigt, sagt man sich, sie sei unwirklich, ein böser Traum, der vergehen werde.“