Die Schriftstellerin Sylvia Plath wurde 1932 in Boston geboren, ihren früh verstorbenen deutschstämmigen Vater idealisierte sie zeitlebens. Sie heiratete 1956 den britischen Dichter Ted Hughes, den sie in Cambridge kennenlernte, und wurde Mutter zweier Kinder. Plath war mehrfach wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung. Ihr einziger Roman Die Glasglocke erschien einen Monat vor ihrem Suizid 1963, ein Jahr nach der Trennung von Hughes, unter dem Pseudonym Victoria Lucas in Großbritannien, in den USA erst 1971. Die Gedichtsammlung Ariel wurde von Hughes 1965 herausgegeben, in den 1970er Jahren avancierte Plath zu einer Ikone der Frauenbewegung.
In der autobiografisch gefärbten Glasglocke (im Original The bell jar) thematisiert Sylvia Plath stellvertretend über die Studentin Esther Greenwood ihre Erfahrungen bei einem Modemagazin in New York im Sommer 1953 samt einer dort aufbrechenden Depression. „Es war ein verrückter, schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen und ich nicht wußte, was ich in New York eigentlich wollte.“ Die frühen 1950er Jahre markierten in den USA den Beginn des Kalten Krieges; kennzeichnend dafür waren die Hexenjagd auf Kommunisten in der Politik, der Kultur und der Wissenschaft sowie eine ausgesprochene Prüderie selbst in den großen Städten.
Esther Greenwood ist von New York so fasziniert wie verunsichert. Über ihre Zukunft hat sie verschwommene Vorstellungen: Sie träumt davon, Professorin zu werden und nebenbei Gedichte zu verfassen oder als Lektorin in einem Verlag zu arbeiten. Sie gefällt sich in der turbulenten Umgebung in der Pose einer Rebellin: „Uneingeschränkte Sicherheit war das letzte, was ich wollte, und ich wollte auch nicht die Stelle sein, von der der Pfeil abfliegt. Ich wollte Abwechslung und Aufregung und wollte selbst in alle möglichen Richtungen fliegen, wie die farbigen Pfeile bei einer Feuerwerksrakete am Vierten Juli.“
Ihre wachsende Unruhe und ihre permanente Furcht, vor den Augen aller in Tränen zu zerfließen, brechen sich nach einer Party Bahn. Des Nachts verstreut sie ihre Kleider aus dem Hotelfenster auf die Straße: „Stück für Stück verfütterte ich meine Garderobe an den Nachtwind, und wie die Asche eines geliebten Menschen wurde sie in einem Gestöber grauer Fetzen davongetragen, die sich hier und dort, wo genau, würde ich nie erfahren, im dunklen Herzen von New York niederließen.“ Sie flieht abrupt in ihre Heimatstadt, will Finnegans Wake von James Joyce lesen und im Herbst darüber eine Abschlussarbeit am College schreiben.
Schließlich wird sie auf Betreiben ihrer besorgten Mutter als Patientin in eine Klinik eingewiesen. Ohne dass sie eine ärztliche Diagnose erhielte, wird sie ohne jede Vorwarnung mit Elektroschocks ins Hirn behandelt: „Dann kam etwas über mich und packte und schüttelte mich, als ginge die Welt unter. Wii-ii-ii-ii-ii schrillte es durch blau flackerndes Licht, und bei jedem Blitz durchfuhr mich ein gewaltiger Ruck, bis ich glaubte, mir würden die Knochen brechen und das Mark würde mir herausgequetscht wie aus einer zerfasernden Pflanze.“
In den Therapiegesprächen wird sie dazu aufgefordert, ihr Beharren auf Selbstständigkeit zu lockern, sich einen Mann zu suchen und die vorbestimmte Mutterrolle anzunehmen. Esther richtet sich willig im Klinikalltag ein und kann keine rechten Unterschiede zwischen den Patientinnen hier und den Studentinnen am College erkennen, diese wie jene hocken für sie stumm unter einer Glasglocke. Ihre Therapeutin sagt ihr, dass das Stigma einer psychischen Erkrankung ihr auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus erhalten bleibe.
Die niederländische Autorin Connie Palmen hat 2015 das gängige Bild des Lebens und Sterbens Sylvia Plaths gegen den Strich gelesen. In ihrem Buch Jij zegt het (zu Deutsch Du sagst es, 2016) verfasst sie eine fiktive Nacherzählung der Beziehung zwischen Sylvia Plath und Ted Hughes aus der Perspektive des Witwers. Anders als für die zahlreichen Plath-Fans ist dieser in Palmens Augen nicht der Verräter, der seine Frau nach Belieben betrügt, nur an seinem eigenen Erfolg als Autor interessiert ist und aus Sylvias Selbstmord noch Kapital schlägt. Vielmehr ist er wie in einer griechischen Tragödie seinem Schicksal ausgeliefert, das ihn mit seiner Frau über deren Tod hinaus verknüpft:
„In den vergangenen fünfunddreißig Jahren bin ich die schweigende Geisel ihres Mythos gewesen, eingesperrt in ein Mausoleum, in dem ich als die Reliquie einer tragischen Ehe zur Schau gestellt wurde.“ Aus dieser Rolle kommt er nicht heraus; was auch immer er tut und schreibt, wird dem 1998 verstorbenen Dichter im Literaturzirkus zu seinen Ungunsten ausgelegt. Palmens Zeilen sind ebenso arrangiert, wie es der Roman Die Glasglocke ist. Sie sind ebenso wenig Plädoyer, wie jener ein Urteil fällt – sie bemühen sich um ein Audiatur et altera pars. Das wird allzu schnell vergessen, wenn das Publikum nach klarer Scheidung von Gut und Böse lechzt und die Belletristik mit einem Protokoll verwechselt.