Mit „Postfaktisch“ hat das nächste Klingelwort im Feuilleton Einzug gehalten. Es lässt sich mit „nach den Fakten“ übersetzen; es bezeichnet eine Geisteshaltung, die von Tatsachen, Wahrheiten und Realitäten nichts wissen will und lieber dem eigenen gefühlten Wissen vertraut. Für das flugs ausgerufene „postfaktische Zeitalter“ werden Facebook, Twitter etc. verantwortlich gemacht, die dank ihrer Algorithmen vorhandene Einstellungen bestätigen, mithin einer Meinung ohne Ahnung Vorschub leisten. Oder wie es Die Partei satirisch formuliert: Inhalte überwinden!
Dieser Befund wird durch die Erklärung von „post truth“ zum internationalen Wort des Jahres 2016 durch die Oxford Dictionaries unterstrichen. Doch zum einen sind „fact“ und „truth“, also „Tatsachen“ und „Wahrheit“, nicht dasselbe, zum anderen ist die Anwesenheit des bewusst Falschen im Bereich der Politik keine Erscheinung des frühen 21. Jahrhunderts. Die Philosophin Hannah Arendt schreibt in ihrem Essay „Die Lüge in der Politik“ von 1971: „Wahrhaftigkeit zählte niemals zu den politischen Tugenden, und die Lüge galt immer als erlaubtes Mittel in der Politik.“
Medien aktiver Desinformation vor dem Internet waren das Fernsehen, das Radio, die Zeitungen, so wie sie auch der Diskussion valider Daten dienten. Es hängt von der Bildung der Rezipienten ab, ob es ihnen gelingt, einzelne Aussagen in einen Kontext zu stellen, sie zu bewerten und sich ein differenziertes Urteil zu bilden. Dabei stehen die Menschen zwischen verführerischer Denkfaulheit und absichtlicher Manipulation durch die Mächtigen. Arendt weiter: „Der Flugsand unwahrer Behauptungen aller Art, von Täuschungen und Selbsttäuschungen, benimmt dem Leser den Atem.“
Dessen ungeachtet haben Fakten (entlehnt aus dem Lateinischen factum = das Gemachte) im politischen Sinn keine normative Kraft, sondern stehen in einem Zusammenhang, müssen aspektiert und interpretiert werden. Oder in den Worten Hannah Arendts: „Bewusste Unaufrichtigkeit hat es mit kontingenten Tatbeständen zu tun, also mit Dingen, denen an sich Wahrheit nicht inhärent ist, die nicht notwendigerweise so sind, wie sie sind. Tatsachenwahrheiten sind niemals notwendigerweise wahr.“ Vor diesem Hintergrund gerinnt „Postfaktisch“ zu einer Phrase ohne Wert.