Pranger

Der „Pranger“ ist historisch betrachtet eine hölzerne Vorrichtung, mit der gefesselt ein Verurteilter der Öffentlichkeit zur Verspottung und Demütigung präsentiert wird; funktionelle Synonyme sind das Halseisen, die Schandbühne und der Schandpfahl. In Deutschland wird der Pranger etwa seit dem Jahr 1400 allgemein angewendet, er verschwindet als Bestrafungsinstrument erst im Zuge der Verbreitung der Ideen der Aufklärung, die die Würde des einzelnen Menschen philosophisch grundiert. An seine Stelle der Normierung und Sanktionierung gesellschaftlichen Fehlverhaltens tritt peu à peu das Gefängnis.

Die Historikerin Ute Frevert konstatiert für die frühe Neuzeit generell akzeptierte Schand- und Ehrenstrafen, die sich im Am-Pranger-Stehen ausdrücken: „Nach traditioneller Auffassung hatten sich Verbrecher gegen die soziale Ordnung und den öffentlichen Frieden vergangen. Deshalb sei es nur recht und billig, sie vor den Augen der Öffentlichkeit zu bestrafen.“ Die Etymologie des Prangers ist von geradezu körperlicher Eindeutigkeit, wie der Kluge nachweist: Er wurzelt im mittelhochdeutschen pfrengen, was bedrücken resp. bedrängen bedeutet. Das ebenfalls geltende mittelniederdeutsche prangen meint drücken oder klemmen.

Die eigentliche Funktion des Prangers ist der Ausschluss des Gebrandmarkten aus der Gemeinschaft. Während er der Lächerlichkeit preisgegeben wird, geht er seines Rufes, seiner Würde, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Identität verlustig. Der weltgeschichtlich wohl bekannteste Pranger ist Jesu Kreuz auf Golgatha (Mk 15,29-32). Im römischen Imperium war die Kreuzigung eine besonders qualvolle und entehrende Art der physischen Vernichtung, die sich je nach Konstitution des Delinquenten über Tage hinziehen konnte, während derer der Pöbel es nicht an Häme fehlen ließ. Zur Praxis des Prangers gehört unweigerlich das Publikum, das das schaurige Spektakel der Demütigung genießt, ähnlich der Gladiatorenkämpfe im Zirkus oder der unter freiem Himmel vollzogenen Auspeitschungen.

Das Verschwinden des realen Prangers in der europäischen Moderne kann nicht umstandslos mit einem Zugewinn an Zivilisierung gleichgesetzt werden. Das Geschäft der öffentlichen Beschämung übernimmt ab Ende des 19. Jahrhunderts der Journalismus über die Zeitungen, im 20. Jahrhundert wird es zu einer Domäne des neuen Massenmediums Fernsehen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts schließlich findet der mediale Pranger seinen Platz in den asozialen Medien des Internets. Der substanzielle Unterschied zum mittelalterlichen Schandpfahl ist die Entkopplung vom juristischen Verfahren: War das öffentliche Beschämen bis zur Aufklärung eine vom Gericht verhängte und vom Publikum weithin goutierte Strafe, kommt der Pranger im Netz ohne Beweis und Urteil aus. Der Schaden, den er anrichtet, ist deswegen nicht weniger gravierend.

Ute Frevert sieht hier ein Weiterwirken des asymmetrischen Dialoges von Macht und Ohnmacht: „Es geht nun weder um die Vindizierung von Normverstößen, die Integration sozialer Gruppen und Gemeinschaften oder die Feier von Initiationsriten. Im Zentrum steht vielmehr die Demütigung als Demütigung, der Spaß an der Erniedrigung, Beschämung als Selbstzweck. Man kann das als Zeichen sozialer Desintegration und Anomie deuten: Statt allgemein gültiger Regeln und Konventionen zählt nur die eigene Wunschökonomie, das persönliche Gesetz. Andererseits bedarf auch dies einer sozialen Validierung, und dafür bietet die Digitalisierung unbegrenzte Möglichkeiten.“

Anhand der #MeToo-Debatte lässt sich exemplarisch studieren, wie auch überaus mächtige und gefürchtete Männer binnen Tagen ihr bisheriges Leben verlieren können, wenn sie in den Strudel des Online-Prangerns von unten geraten. Der der sexuellen Belästigung und der Vergewaltigung bezichtigte Filmproduzent Harvey Weinstein ist durch die Anschuldigungen zahlreicher Schauspielerinnen auf Twitter ein vorab erledigter Fall – egal, wie das mittlerweile gegen ihn eröffnete Verfahren vor Gericht dereinst ausgehen wird.

Alle wohlwollenden Gönner aus der Politik, den Medien und dem Show-Business meiden ihn als Aussätzigen, seine Firma ist bankrott, seine Frau hat die Scheidung eingereicht. Seriöse Zeitungen drucken genüsslich ein Bild Weinsteins in Handschellen auf dem Weg zum Untersuchungsrichter; was sie vorgeblich tun als Berichterstattung, kommt dem Anheizen des Feuers gleich. Der Pranger lebt – im Bewusstsein, moralisch auf der sicheren Seite zu stehen, dürfen Krethi und Plethi auf den Mann am Boden spucken. Wenn das keine Angst vor Enthemmung macht.