Der „Prolog“ ist ein Begriff aus der Bühnensprache, er bezeichnet ein Element des Theaterstückes, wie es der Akt, die Szene und das Zwischenspiel tun. Der Prolog (vom griechischen logos gleich Wort, Rede, Sprache, und von pro im Sinne von vor, für oder anstelle von) ist die Vorrede oder das Vorwort. Im übertragenen Sinn meint er den Auftakt, wie etwa beim Prolog der Tour de France, einem kurzen Zeitfahren vor resp. am Beginn des Rennens.
Der Prolog führt also zu etwas Größerem hin, er ist nicht Teil der Erzählung, sondern verweist auf sie. Als Regieanweisung zum besseren Verständnis des Folgenden ist das Vorwort ein bewährtes Stilmittel der Literatur. So schickt Thomas Mann seinem „Zauberberg“ voraus, dass Geschichten gut vergangen sein müssen; Marcel Proust reflektiert am Nullpunkt seiner „Recherche“ über die Macht der Erinnerung, aus der der Roman erwächst.
Der wohl berühmteste Prolog der Schrift leitet das Evangelium des Johannes ein: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (Joh 1,1-5) Im Wort ist das Leben.
Mit diesen poetischen wie dunklen Zeilen stimmt der Autor die Gemeinde und die Lesenden auf die Offenbarung Gottes in Menschengestalt ein, auf die heilige Kraft des Wortes, das die Welt zu ändern vermag. Der Text nimmt dabei unverhohlen Bezug auf den Schöpfungsbericht des Ersten Buches Mose, wo am Anfang die Erde wüst und wirr war, die Finsternis über der Urflut lag, und Gottes Geist über dem Wasser schwebte. (Gen 1,1-2)
Während die Genesis wie eine Chronik der Schöpfung daherkommt, wie ein Protokoll Gottes, der die Welt erschafft, sie betrachtet und für gut befindet, korrigiert Johannes radikal die Perspektive: Er stellt ein heilendes Programm vor, mit dem Gott die Menschen erlösen will: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“ (Joh 1,14)
Die so bezeugte Heilsbotschaft kündet vom Wirken Jesu Christi auf Erden. Sein Werkzeug ist das Wort, das seine Jünger einschüchtert und begeistert, die geistlichen und politischen Führer aber provoziert und zum Gegenschlag animiert. Sie bringen Jesus zum Schweigen, indem sie ihn töten. Zu groß ist ihre Angst vor einem sanften Mann, der in Gleichnissen und Rätseln über die Erlösung redet und den Menschen die Liebe zu schenken verspricht.
Das Wort steht nicht nur am Anfang, es begleitet Publikum und Texte ans jeweilige Ende. Durch die Sprache wird der Mensch unterscheidbar von anderen Kreaturen, dank ihrer kann er von der eigenen Existenz absehen und die Grenzen von Raum und Zeit aufheben. Erst mittels der Sprache wird die Öffnung des Reiches der Fantasie, des Staunens und der Imagination möglich, erst durch die Schrift wird aus einem stummen Ritus eine Religion des Buches.
Die ältesten erhaltenen Werke der Dichtung sind spirituelle Versuche, das Unfassbare des Lebens zu bannen und für die Menschen erträglich zu machen. Große Literatur macht bis heute nichts anderes, sie erschafft die Welt im Schreiben stets aufs Neue. Sie löst ein, was das Wort vor dem Wort verheißt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis untergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12) Im Sprechen liegt Segen.