Der Herbst steht vor der Tür, wenn die „Proms“ genannte Konzertreihe in der Londoner Royal Albert Hall ihren Abschluss findet. Die „Last Night of the Proms“ ist eine ausgelassene Party, bei der das Publikum zwar auch das Orchester feiert, in erster Linie aber sich selbst. Farbenfroh kostümierte Damen und Herren werfen Luftschlangen, schwenken Fahnen und singen die eingängigen Melodien lauthals mit – die Grenze zwischen Hoch- und Pop-Kultur verschwimmt.
Von Mitte Juli bis Anfang September eines jeden Jahres gibt es Abend für Abend klassische Konzerte in der Royal Albert Hall; damit sind die „Proms“, also die Promenadenkonzerte, nach Auskunft der ausrichtenden BBC das größte Festival klassischer Musik weltweit. Diesmal wurden im ersten Teil der „Last Night“ Werke von Zoltán Kodály, Jean Sibelius und Richard Wagner gespielt, bevor dann nach der Pause die Gassenhauer des Repertoires intoniert wurden.
Seinen Charakter erhält dieser stets ausverkaufte Sommer-Kehraus durch die schmissig-sentimentalen Stücke der zweiten Hälfte: den Marsch „Land of Hope and Glory“ von Edward Elgar, die Sea Songs inklusive „Rule, Britannia!“, die bukolische Ode „Jerusalem“ und nicht zuletzt „God save the Queen“. Diese Stücke bejubeln die (gewesene) Größe Britanniens, das Empire und die Monarchie auf eine herzliche Art, die tausende Besucher aus vielen Ländern einstimmen lässt.
1895, als die „Proms“ installiert wurden, stand das britische Empire im Zenit. Die patriotischen Lieder der „Last Night“ zelebrieren textlich wie musikalisch das Weltreich mit London als globaler Kapitale. Rudyard Kiplings Hymne des Imperialismus „The White Man’s Burden“ von 1899 fasst den Geist jener Zeit in klingende Worte: „Take up the White man’s burden – // And reap his old reward: // The blame of those ye better, // The hate of those ye guard.“
Über ein Jahrhundert später hat das United Kingdom den Austritt aus der Europäischen Union erklärt, Westminster definiert das Königreich weiter als sendungsbewusste Nation des Handels. Das Karaoke der „Last Night“ bezieht sich augenzwinkernd auf diese imperiale Last der Tradition, die Lieder verbinden heute mehr, als dass sie isolieren. Die Show ist ein Magnet auch für Touristen, für mehrere tausend Euro können sie Teil dieses Karnevals werden. Cheers!