In der laufenden Debatte rund um die Flüchtlingskrise ist in den Zeitungen verlässlich von „Ressentiments“ die Rede, die die Bevölkerung in Teilen gegenüber Migranten hege; diese werden, damit auch kein Zweifel bleibe an ihrem dubiosen Charakter, zusätzlich als dumpf deklariert. In diesem Sinne erscheint das Ressentiment als Synonym für Missgunst, Abneigung und Vorurteil, als hässlicher Affekt, den die Einheimischen angesichts der Neuankömmlinge zeigen.
Doch ist mit dieser Bedeutung, die auch die einschlägigen Wörterbücher verzeichnen, bloß eine Ebene erfasst. Das im 17. Jahrhundert aus dem Französischen ins Deutsche entlehnte Wort wird psychologisch verstanden als „das Wiedererleben eines (dadurch verstärkten) meist schmerzhaften Gefühls“. Diesem Wieder-Gefühl geht also eine in der Vergangenheit gespeicherte Empfindung voraus, die in der Gegenwart aktualisiert wird, etwa durch eine Begegnung.
Der in Wien geborene, in Brüssel lebende Schriftsteller Jean Améry veröffentlichte 1966 einen Text über „Ressentiments“, die ihn anlässlich einer Reise durch die junge Bundesrepublik befielen. Er war als Jude und Widerstandskämpfer von den Nazis gefoltert worden und hatte das KZ Auschwitz überlebt. Gut 20 Jahre nach dem Ende des III. Reiches traf er in Westdeutschland auf offene, höfliche und herzliche Menschen, denen er aufgrund der jüngsten deutschen Vergangenheit inklusive des Holocaust nur befangen und voreingenommen entgegentreten konnte, ungeachtet ihrer gegebenen persönlichen Integrität.
Améry versteht seine Ressentiments als „existentielle Dominante von meinesgleichen“ und meint damit den Groll der Opfer gegenüber den Tätern resp. deren Nachkommen. Er will diese Seelennot weder moralisch verdammen noch lediglich als störenden Konflikt betrachten. Für ihn bleibt das Ressentiment eine logisch widersprüchliche Emotionsquelle, die eine zerstörte Vergangenheit weiterwirken lässt und den Ausgang in die Zukunft, in die eigentlich menschliche Dimension, blockiert. Doch entkommt er ihr nicht, erst recht nicht hinsichtlich der rationalen Anstrengungen der Deutschen um eine angemessene Vergangenheitsbewältigung.
Vor diesem Hintergrund geht das Gerede von Ressentiments gegenüber Flüchtlingen am Kern vorbei, da diese durch ihre Ankunft in Deutschland eben keine gewesene Opfer/Täter-Beziehung wiederbeleben. Es mögen bei den Menschen Gefühle der Fremdheit, der Verunsicherung und der Abwehr vorhanden sein – der in seinem Sinn verschobene Begriff des Ressentiments trifft sie nicht. Im politischen Diskurs sollte Wert auf sprachliche Genauigkeit gelegt werden, mediales Beschämen unerwünschter Gefühle bringt diese nicht zum Verschwinden.