Schreibschrift

In Sachen Pisa ist Finnland eine Autorität, regelmäßig landen finnische Kinder und Jugendliche ganz weit vorn im internationalen Schulvergleich. Auch deshalb sorgt der Beschluss der finnischen Regierung, ab 2016 in den Grundschulen des Landes die Schreibschrift abzuschaffen, für gesteigerte Aufmerksamkeit. Die Entscheidung wird mit dem absurden Argument begründet, den heutigen Kindern sei es motorisch nicht länger zuzumuten, das flüssige Schreiben per Hand zu erlernen; stattdessen solle mehr Zeit für das Arbeiten an Monitor und Tastatur aufgewendet werden. Ist der finnischen Regierung eigentlich bewusst, dass sie dergestalt sekundäre Analphabeten heranzieht?

Und dann gibt es allen Ernstes ein Unternehmen, das seinen Kunden die Produktion von Karten, Briefen und weiteren Schriftstücken anbietet, die die Handschrift per Algorithmus imitieren. Weil ein per Hand geschriebener Text beim Empfänger mehr Zuwendung signalisiere als ein Printerzeugnis, das an Textbausteine, Massendruck und Behördendistanz denken lasse. Wer kennt nicht amtliche Verlautbarungen, die ohne Unterschrift – und damit ohne konkreten Absender und Ansprechpartner – auskommen. Doch offenbar gibt es in der Computerwelt mit ihren global einheitlichen Standards ein tiefes Bedürfnis nach Individualität und Originalität, das kaum besser als durch die einzigartige Handschrift befriedigt werden kann.

Denn diese ist so unverwechselbar wie ein Fingerabdruck, ein Scan der Iris oder gleich die ganze DNS. Außerdem hat die Handschrift, neben ihrer eindeutigen Charakterisierung der schreibenden Person, ökonomische Vorteile (sie kommt ohne Strom und Akku aus) und reklamiert hoheitliches Potenzial (noch muss der Reisepass eigenhändig unterschrieben werden). Ist es nicht ein Armutszeugnis, dass keine zehn Jahre nach dem Etablieren des Fingerwischens über schimmernde Glasflächen eine Jahrtausende alte Kulturtechnik suspendiert werden soll? Und ist es nicht grotesk, dass man eben dieses Erbe nun von Rechnern simulieren lassen will?