Viele der von den Nationalsozialisten vertriebenen Intellektuellen setzten im Exil ihren Widerstand fort. Sie wollten der Welt ein anderes Deutschland inmitten des falschen zeigen. „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers, 1942 erstmals publiziert, schildert den Ausbruch von sieben Häftlingen aus einem Konzentrationslager. Der Roman steht in einer antifaschistischen Tradition und beschwört die beflügelnden Kräfte der Solidarität im Kampf gegen einen übermächtig scheinenden Gegner.
Es vergingen nur gut drei Monate nach der Machtergreifung, bis das Regime zum Schlag gegen die Intelligenz ausholte. Am 10. Mai 1933 wurden im Rahmen der „Aktion wider den undeutschen Geist“ in zahlreichen deutschen Universitätsstädten die Bücher missliebiger Literaten und Wissenschaftler verbrannt. Dieses gewaltige Autodafé wurde von Studenten durchgeführt, offen befürwortet wurde es vom Preußischen Kultusministerium sowie vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Die Nationalsozialisten, denen alles Intellektuelle, Urbane und Avantgardistische verhasst war, „säuberten“ die öffentlichen Bibliotheken von den Büchern jüdischer, marxistischer, pazifistischer und liberaler Autorinnen und Autoren (insgesamt über 400). Um nur die bekanntesten Namen zu nennen: Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Sigmund Freud, Magnus Hirschfeld, Irmgard Keun, Else Lasker-Schüler, Rosa Luxemburg, Klaus Mann, Karl Marx, Carl von Ossietzky, John Dos Passos, Bertha von Suttner.
Zu den Verfemten zählte auch Anna Seghers (eigentlich Netty Reiling), geboren 1900 in Mainz als Tochter eines jüdischen Antiquitätenhändlers. Die promovierte Kunsthistorikerin kam 1925 nach Berlin, wo sie ihre Kinder Peter und Ruth gebar. Sie war Mitglied im Bund proletarisch revolutionärer Schriftsteller sowie der KPD und lehrte mit ihrem Ehemann Laszlo Radvanyi an der Marxistischen Arbeiterschule. Den literarischen Durchbruch schaffte sie mit den Erzählungen „Grubetsch“ und „Aufstand der Fischer von St. Barbara“, für letztere erhielt sie 1928 den Kleist-Preis. 1933 emigrierte sie in die Schweiz und ging über Paris nach Mexiko. Erika und Klaus Mann würdigten sie in „Escape to life“ (1939), ihrem legendären Panorama der deutschen Kultur im Exil.
1947 kehrte Seghers nach Ostberlin zurück und wurde im selben Jahr mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet. Von 1952 bis 1978 war sie Vorsitzende des Schriftstellerverbandes der DDR, wo ihre Werke zum Kanon der Schullektüre zählten. Ungeachtet ihres Ruhms als Autorin und ihrer Macht als Funktionärin lebte sie nicht in einer repräsentativen Villa in Pankow, sondern in einer neu errichteten Arbeitersiedlung in Adlershof. Ihre Wohn- und Arbeitsräume wurden nach ihrem Tod zur Gedenkstätte ausgestaltet, ihre 10.000 Bände umfassende Bibliothek blieb erhalten. Sie starb 1983 und wurde auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in der Berliner Chausseestraße begraben.
Ihr berühmtestes Buch „Das siebte Kreuz“ entstand im Pariser Exil von 1937 bis 1939. Es beschreibt die Flucht von sieben Häftlingen aus einem Konzentrationslager im Rhein-Main-Gebiet, von denen sechs wieder gefasst resp. auf der Flucht getötet werden. Georg Heisler, einem Kommunisten, gelingt es mit Hilfe von Unterstützern im Untergrund, Deutschland zu verlassen. Das Buch, als wirkmächtiges Beispiel der Emigrationsliteratur 1944 in Hollywood verfilmt (zwei Jahre nach dem heroischen Exildrama „Casablanca“), ist stilistisch dem Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit verpflichtet und nimmt formal Anleihen bei der jungen Montagetechnik des simultanen Erzählens.
Bei seiner Flucht hat sich Georg Heisler an der Hand verletzt. Der jüdische Arzt, zu dem er sich schließlich traut, ist an Patienten gewöhnt, die frühmorgens zu ihm in die Praxis huschen, damit es niemand bemerke. Während er die Wunde säubert, desinfiziert und verbindet, dämmert es ihm, dass er einen der Flüchtigen im Sprechzimmer zu sitzen hat: „Durch den starken Bann hindurch, in den ihn sofort jede Wunde schlug und jede Krankheit, weil er ganz und gar Arzt war, spürte er wieder eine Beklommenheit beim bloßen Anblick des Mannes, stärker noch als vorhin, was war denn das für ein Verband? Aus einem Jackenfutter. Er rollte ihn ganz langsam ab. Was war das überhaupt für ein Mensch?“
Der Arzt denunziert Georg nicht, trotz des Klimas der Zersetzung, die ihn als Juden mit aller Härte trifft. Anders als dessen Geliebte Leni, die sich einem Nationalsozialisten zugewandt hat und dem verzweifelten Georg Hilfe verweigert. Heisler, durch die subversive Aktivität im Widerstand trainiert, spürt instinktiv, dass er von einem Heer von Spitzeln umgeben ist: „Seine Mutter war sicher bewacht. Die Frau, die Ellie, die seinen Namen hatte, war sicher bewacht. – Ein jeder konnte bewacht sein, der je in dieser Stadt ein Steinchen in sein Leben hineingesetzt hatte. Bewacht waren seine paar Freunde, und seine Lehrer konnten bewacht sein und seine Brüder und seine Liebsten. Ein Fangnetz durch die ganze Stadt.“
Während der Fahndung toben die Lagerschergen; in einem sportlichen Sinn fiebern die Häftlinge mit dem einzig noch flüchtigen Heisler mit, so verzweifelt ihre Lage in der Sippenhaft auch wird: „Die Flucht der sieben Leute hatte für alle Gefangenen die furchtbarsten Folgen. Trotzdem ertrugen sie den Entzug von Nahrung und Schlafdecken, die verschärfte Zwangsarbeit, die stundenlangen Verhöre unter Schlägen und Drohungen mit Gelassenheit, ja zuweilen mit Spott.“
Am Ende der siebentägigen Passion kann Georg Heisler Deutschland in die Freiheit verlassen. Das siebte Kreuz auf dem Lagerplatz bleibt frei, Georg erlebt stellvertretend für seine Kameraden die Auferstehung aus den Fängen des Regimes, es siegen Vertrauen und Solidarität über Fausthieb und Stiefeltritt. Mit ihrem „Siebten Kreuz“ ist Anna Seghers eine alterslose Parabel über den Samen des Guten im Kern des Bösen gelungen. Mögen reale Figuren wie Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich symptomatisch sein für das Menschenverachtende des III. Reiches, so ist Georg Heisler der einfache Jedermann, dessen Lebensmut vom Faschismus nicht auszuradieren ist.