Beim flüchtigen Lesen der Publikumspresse kann der Eindruck entstehen, das Thema Trans sei schwer en vogue. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein Interview dazu geführt, ein Film oder Buch rezensiert, eine Forderung erhoben wird. Beim Christopher Street Day, der ursprünglich dem Kampf für die Rechte der Schwulen und Lesben gewidmet war, werden heute wie selbstverständlich auch Trans Positionen vertreten. Das sperrige Akronym LSBTIQ+, vielfach als queer aufgehoben, stellt verschiedene geschlechtliche und sexuelle Minderheiten in Opposition zur Mehrheit der Heteros. Trans hat seinen Rotlichtschmuddel verloren, allerdings mehren sich die Stimmen derer, die sich von der wachsenden Präsenz von Transmenschen in den Medien und der Öffentlichkeit belästigt sehen.
Das im Koalitionsvertrag der Ampelregierung projektierte Selbstbestimmungsgesetz ist geeignet, die Debatte um Trans weiter anzuheizen. Dieses Gesetz soll an die Stelle des seit 1981 geltenden Transsexuellengesetzes (TSG) treten, das vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Punkten für verfassungswidrig erklärt wurde. Dieses TSG, dessen Abschaffung von Aktivisten seit Jahren gefordert wird, regelt die Änderung des Vornamens und des Personenstandes in besonderen Fällen. Für beide Lösungen müssen Transmenschen sich der Begutachtung durch zwei einschlägige Sachverständige unterziehen; eine Praxis, die lange dauern kann, teuer ist und von vielen Betroffenen als übergriffig empfunden wird. Die Bundesministerien der Justiz und für Familie haben im Juni dieses Jahres die Eckpunkte für ein kommendes Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt. Danach soll bei Erwachsenen künftig eine bloße Selbstauskunft beim Standesamt ausreichen, um den Vornamen und den Geschlechtseintrag zu ändern, Gutachten und medizinische Atteste sollen dann obsolet werden.
Dieses Vorhaben der Bundesregierung steht seit der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages und erst recht der genannten Eckpunkte unter scharfer Kritik. Unter dem Banner der Ablehnung finden sich so unterschiedliche Gruppen wie Feministinnen, Anwälte, Publizisten und Christen zusammen. Der Kern ihres „Nein“ besteht in der Behauptung, durch den vereinfachten Zugang zur Änderung des Personenstandes von männlich zu weiblich und vice versa werde dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Das Selbstbestimmungsgesetz führe, so seine dezidierten Gegner, zur Schutzlosigkeit von Mädchen und Frauen, die bald schon in Umkleiden, Toiletten und Duschen von Sexualstraftätern bedrängt würden, die sich ihnen unter dem Deckmantel des erklärten weiblichen Geschlechtes in der Absicht der Vergewaltigung nähern würden.
Weiter wird ins Feld geführt, Männer definierten sich kurzerhand zu Frauen, um sich auf diesem Wege soziale oder finanzielle Vorteile zu erschleichen, die ihnen nicht zustünden, etwa durch einen früheren Renteneintritt, bei der Besetzung von Frauen vorbehaltenen Stellen, um dem Wehrdienst zu entgehen oder bei einer sportlichen Prüfung mit Einfluss auf eine berufliche Beurteilung. Die härteste Begründung des Widerstandes liefert ausgerechnet der Strafvollzug. Hier könnten sich verurteilte Straftäter umstandslos zur Frau erklären, um in den weiblichen Vollzug zu gelangen, um dann dort Insassinnen zu vergewaltigen. Auch in Frauenhäusern könnten sich traumatisierte Frauen nicht mehr sicher sein, wenn dort auch potenziell gewalttätige Männer Zutritt hätten.
Diese skizzierte Argumentation gegen die geplante Vereinfachung der Vornamens- und Personenstandsänderung für Transidente und auch Intersexuelle ist in mehrfacher Hinsicht absurd. Zunächst entbehrt sie jeglicher Empirie hinsichtlich der angenommenen Übergriffe eigentlicher Männer, die sich juristisch zu Frauen erklären und sozial so behandelt werden wollen. Schließlich gibt es in Deutschland seit über 40 Jahren Transidente, genauer Transfrauen, die ihr Geschlecht juristisch und sozial gewechselt haben; mögliche Fälle von Gewalt von ihnen in Frauenräumen kommen, wenn überhaupt, nur in Spurenelementen vor. Weiter tauchen die unterstellten Motive zu einem juristischen Geschlechtswechsel – als Akt der Rebellion, aus Spaß oder Geltungssucht, mit krimineller Energie – in den seriösen Beratungen der anerkannten Einrichtungen nirgends auf; vielmehr sind die Menschen, die dort Hilfe suchen, in der Regel verzweifelt, zielstrebig und zugleich sehr reflektiert über ihr Inneres. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass eine Absenkung der Hürden für einen Verwaltungsakt zu einem flächendeckenden Missbrauch dieses Angebotes führte.
Vor allem aber übersehen die Kritiker eines angeblich leichtfertigen Wechsels des Personenstandes, dass das Reden über und das Leben eines Geschlechtes häufig mit Gefühlen der Scham und der Peinlichkeit besetzt ist – nicht umsonst ist die „Scham“ eine Metapher für das Genital. Den häufig chronischen Exotenstatus, der weiterhin mit einem transidenten Leben einhergeht, werden sich Menschen ohne diese Disposition aus einer Laune oder auch aus kalter Berechnung nicht zufügen. Nicht zuletzt sind die referenzierten Kritiker auf einem Auge blind: Transmänner kommen in ihrem Kalkül mit keinem Wort vor. Eignen diesen keine unlauteren Motive, etwa um sich freier auf der Straße zu bewegen oder um sich bessere Aussichten auf gut dotierte Jobs zu verschaffen?
Weiter wird bemängelt, dass es bereits mit 14 Jahren möglich sein solle, den Geschlechtseintrag zu ändern. Die bisher vorliegenden Eckpunkte der Ministerien halten dazu fest, dass zu einem solchen Antrag eines Jugendlichen die Zustimmung der Sorgeberechtigten vorliegen müsse, welche in Konfliktfällen vom Familiengericht gegeben werden könne. In jedem Fall werde es zu einer Einzelfallprüfung kommen, die sich strikt am Kindes- respektive Jugendwohl orientiere. Die Eckpunkte führen weiter aus, dass es vor einer Änderung des Personenstandes bei Minderjährigen zu einer sachkundigen, ergebnisoffenen und kostenlosen Beratung kommen solle; diese wäre nicht durch Videos auf YouTube zu leisten, sondern durch qualifizierte Vereine und Verbände.
Die Kritiker des anvisierten Selbstbestimmungsgesetzes ignorieren, dass es um die Vereinfachung eines Verwaltungsaktes geht, der das Leben von Transidenten und Intersexuellen erleichtern soll. Es ist ihnen überhaupt suspekt, dass das anatomische Schicksal des Geschlechts eine leibliche, seelische, soziale und rechtliche Änderung erfahren kann. Die Eckpunkte betonen, dass mit einem Wechsel des Personenstandes keinerlei Vorfestlegung auf eventuelle pharmakologische und/oder chirurgische Maßnahmen zur körperlichen Veränderung getroffen werde – diese fallen wie bisher den medizinischen Leitlinien anheim und liegen in der Mitverantwortung der behandelnden Ärzte und Therapeuten. Genau hierin liegt die große Chance des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes: Es erlaubt den betroffenen Menschen, juristisch legitimiert in der gewünschten geschlechtlichen Rolle aufzutreten, ohne von Beginn an schwere, meist irreversible Eingriffe in den eigenen Körper zu vollziehen.
Das Selbstbestimmungsgesetz impliziert, dass keine Behörde das Geschlecht eines Menschen „kennen“ könne. Transidentität meint ja gerade das kausal nicht zu erklärende Auseinanderfallen von biologischem und erlebtem Geschlecht, Transidente sind auf diesem Gebiet die denkbar besten Experten ihrer selbst. Das angekündigte Gesetzesvorhaben der Koalition zielt darauf, die wenigen Menschen, die es überhaupt betrifft, auf ihrem Weg zu bestärken. Mit einem neuen Namen und gegebenenfalls einem neuen Personenstand können sie sich ausprobieren, ohne gleich ihren Körper dauerhaft zu manipulieren und ihm unter Umständen Schaden zuzufügen. Die Zahl sogenannter Reuefälle dürfte demnach zurückgehen. Sollte sich der neue Name als doch nicht passend erweisen, könnte er nach einem Jahr wieder geändert werden. Die Fakten einer Hormonbehandlung oder gar einer Genitaltransformationsoperation hingegen bleiben ein Leben lang in den Leib geschrieben.