Auf die Frage nach dem beliebtesten Weihnachtsfilm wird „Sissi“ sicher ganz weit oben auf der Liste landen. Auch im zurückliegenden Jahr 2021 wurden die drei Filme um die Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn an den Feiertagen gezeigt. Für Romy Schneider, die Darstellerin der Sissi, begann mit den lieblichen Streifen eine Weltkarriere, bei der sie sich daran abarbeitete, dem Fluch und dem Segen der Rolle der jugendlichen Kaiserin zu entfliehen. Aus heutiger (und sicher auch damaliger) Sicht ist die Sissi-Trilogie ein Festival des Schmelzes und des Kitsches, das die Sehnsüchte eines Millionen-Publikums nach heiler Welt und ewigem Liebesglück bedient. Auch deswegen eignet sich das moderne Märchen perfekt als Kulisse für die Weihnachtszeit.
Reales Vorbild der Sissi-Figur ist Elisabeth von Österreich-Ungarn (1837 bis 1898). Sie stammte aus einer Nebenlinie des Hauses Wittelsbach und wurde durch die Heirat mit ihrem Cousin Franz Joseph 1854 zur Kaiserin von Österreich und ab 1867 zur Königin von Ungarn. Elisabeth, die von ihren Geschwistern Sisi gerufen wurde, gebar ihrem Gemahl vier Kinder und starb bei einem Attentat eines Anarchisten in Genf. Ihre Schönheit, die auf aufwändigen Hofportraits in Galaroben festgehalten wurde, war legendär; in Fragen der Mode, der Diäten, der Reiseziele und der Konversation wurde sie stilbildend im ganzen Reich. Mit dem steifen Zeremoniell am Habsburger Hof nach spanischer Tradition fremdelte sie zeitlebens, ausgedehnte Reise waren ihr begehrte Fluchten.
Romy Schneider (1938 bis 1982) wurde in der Rolle der Kaiserin Sissi in den drei titelgebenden Filmen (1955, 1956, 1957) über ihre ersten Jahre auf dem Thron über Nacht zu einer Berühmtheit weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus. Die großen Kinoerfolge der Trilogie machten sie, die keine Ausbildung als Schauspielerin absolviert hatte, finanziell unabhängig und damit wählerisch bei ihren künftigen Rollen. Sie wollte nicht auf das Motiv des süßen, naiven Backfisches reduziert werden und ging Ende der 1950er Jahre nach Paris, wo sie mit dem aufstrebenden Schauspielerkollegen Alain Delon liiert war. Sie spielte am Theater und entwickelte sich im Kino unter den Regisseuren Claude Sautet und Luchino Visconti zu einer anerkannten Charakterdarstellerin. Nach einem Selbstmordversuch und Jahren der Depressionen sowie der Abhängigkeit von Alkohol und Schlafmitteln starb sie mit 44 Jahren in Frankreich.
Romy Schneider, gebürtig aus einer österreichischen Schauspieler-Dynastie, wurde vom Regisseur Ernst Marischka trotz oder vielleicht wegen ihrer geringen Erfahrung vom Fleck weg für die Rolle der Sissi engagiert. Sie hatte mit ihren 17 Jahren das passende Alter für die Rolle der jungverheirateten Kaiserin. Vor der Kamera bewegte sie sich mit der Ungezwungenheit eines Fohlens auf der Koppel, ihr harmonisches Gesicht in vollendeter Schönheit und Anmut eignete sich wunderbar für lange Einstellungen in Großaufnahme. Ihre Mutter Magda Schneider spielte auch im Film ihre Mutter, die der jungen Kaiserin eine wichtige Vertraute bleiben sollte. Sissi wundert sich, dass sie ihre Tante und Schwiegermutter siezen soll und setzt sich vehement dafür ein, dass sie ihr erstes Kind selbst erziehen darf, ungeachtet ihrer eigenen Jugend. Auch mit ihrer älteren Schwester Helene, die eigentlich als Braut für den Kaiser ausersehen war und dann von diesem düpiert wurde, kann sie sich nach Jahren der Kontaktlosigkeit wieder aussöhnen.
Karlheinz Böhm (1928 bis 2014), Sohn des berühmten Dirigenten Karl Böhm, hatte bereits zehn Jahre Theater- und Filmerfahrung, als er in der Rolle als Kaiser Franz Joseph von Österreich-Ungarn an der Seite von Romy Schneider in der Sissi-Trilogie der 1950er Jahre zu einem internationalen Filmstar wurde. Auch er wollte nach dem Ruhm dieser Heimatfilme wie seine Filmpartnerin aus dem Korsett des ritterlichen wie gutmütigen Liebhabers ausbrechen und spielte in düsteren Krimis und in kaum beachteten Streifen in Hollywood mit. In den 1970er Jahren arbeitete er mit Rainer Werner Fassbinder zusammen und differenzierte sein Image als seriöser Mime. Seit den 1980er Jahren setzte er sich mit aller Kraft für seine Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“ ein, die dem Hunger und der Perspektivlosigkeit in Äthiopien ein Ende bereiten wollte. Die letzten Lebensjahre verbrachte er im Schatten seiner Alzheimer-Erkrankung.
Als junger Kaiser Franz Joseph stellt sich Karlheinz Böhm voll in den Dienst für sein Land, auch dem Heiratsarrangement seiner intriganten Mutter mit ihrem Denken in hochadligen Netzwerken setzt er zunächst keinen Widerstand entgegen. Doch als er zufällig bei einer Kutschfahrt der jungen Sissi ansichtig wird, verliebt er sich stehenden Fußes in das lebenslustige Mädchen, ohne zu wissen, wer sie ist. Nach der Heirat will er seiner jungen Gemahlin das Leben im weitläufigen Schloss Schönbrunn so angenehm wie möglich machen, dabei sehend, dass sie sich wie ein Vogel in einem goldenen Käfig fühlt. Er bietet in seiner Liebe zu seiner Frau seiner Mutter die Stirn, die strategisch nüchtern die Ehe ihres Sohnes analysiert und auf seine Gefühle wenig Rücksicht nimmt. Mehr als einmal stürmt Sissi in sein Arbeitszimmer, wo er mit seinen Ministern über politische Fragen sinniert, und erinnert ihn an seine Liebe zu ihr. Nur zu gern lässt sich Franz von den Mühen des Regierens ablenken.
Technisch gesehen, betreibt die Sissi-Trilogie einen beträchtlichen Aufwand, der frühe Farbfilm war in den 1950er Jahren noch etwas Besonderes. Auch wenn die Schnitte der Außenaufnahmen mit jenen aus dem Studio etwas Hölzernes haben, sind sie doch teilweise, wie etwa jene auf dem Markusplatz in Venedig oder auf dem Brautdampfer auf der Donau, eine logistische Meisterleistung. Großartig die Arbeit der Schneiderinnen und Friseure, die die Damen mit prächtigen Reifröcken, taillenschmeichelnden Korsetts, blinkenden Colliers und Diademen sowie fantasievollen Frisuren und die Herren mit schneidigen Uniformen einkleiden. Natürlich regnet es in diesem Traumland nicht, keine Hand ist von grober Arbeit schmutzig, Tiere sind zutrauliche treue Gefährten, tausend Diener und Hofdamen übernehmen im Verborgenen die lästigen Tätigkeiten zur Vorbereitung der zahllosen Bälle und Diners. Durchaus glaubwürdig allerdings wirken die Szenen, in denen Franz und Sissi ganz allein und inkognito auf einer Berghütte übernachten und abseits der Repräsentation einander genügen.
Doch die beiden sind eben nicht nur Mann und Frau, sondern Kaiser und Kaiserin und damit Träger von Aufgaben von reichsweiter Bedeutung. Die politische Sphäre ist fest in der Hand der Männer, die Frauen werden als Dekoration bei Empfängen und diplomatischen Missionen herbeigezogen. Sissi unterläuft diese Routinen subtil, indem sie aus gutem Herzen heraus mit ungarischen Edelmännern, die den österreichischen Kaiser nicht als ihren Herren anerkennen wollen, persönliche Bande knüpft und mit ihrem Charme deren harte Ablehnung in flexible Erwartung wandelt. So mag Politik zur Mitte des 19. Jahrhunderts sich zugetragen haben, als Entscheidungen im kleinen Kreis der Berater des Herrschers getroffen wurden und eine Kontrolle durch ein Parlament nicht vorgesehen war. Sissi erscheint in dieser harten Welt der Macht, der Drohungen und des Krieges als herzensgute Frau, die die Menschen über ihre Unterschiede würdigt und für alle Beteiligten das Beste will.
Die Sissi-Filme mit ihrem verführerischen österreichischen Singsang vermengen munter vage historische Tatsachen und fiktive Anekdoten zu einem Cocktail der Gefühle. Sie sind ein typisches Produkt der Wirtschaftswunderjahre, die Trümmer des II. Weltkrieges sind weggeräumt, das untergegangene Nazireich wird aktiv vergessen, der Blick geht nach vorn, unter Rückgriff auf ein kulturelles Idyll. Sie reihen sich ein in eine Serie aus Heimatfilmen wie „Der Förster vom Silberwald“, „Grün ist die Heide“ oder „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ mit ihrer Ästhetik der Harmlosigkeit, die das häusliche Glück in der unberührten Welt der Berge, der Seen und der Wälder feiern, ohne die Probleme der Stadt, des Verkehrs und der Industrie. Vor dem Siegeszug des Fernsehens waren derlei Streifen in den Lichtspielhäusern der willkommene Garant keimfreier Unterhaltung à la Biedermeier, wo die große Liebe voraussetzungslos an der nächsten Ecke wartet, Natur und Familie intakt sind und sich die Menschen quasi geschlechtslos fortpflanzen. Die jüngste Variation des Themas des Senders RTL, „Sisi“ genannt, die ebenfalls zwischen den Jahren im Fernsehen lief, kann die Latte des Vorbildes nur reißen; das Original wird immer besser angenommen werden als die Kopie.
In dem prächtigen Prunk der Salons, der Kabinette und der Speisesäle mit ihren Tapisserien, Chaiselongues und Vorhängen in Bonbonfarben, mit den seidenen Kleidern voller Schleifen und Rüschen mit ihrem Durchmesser von über einem Meter am Boden, mit den ordengeschmückten Torsi der Militärs und den permanenten Bällen ist „Sissi“ unfreiwillig Camp – kein Wunder, dass die Romanze zwischen Elisabeth und Franz Joseph auch gerade viele schwule Fans hat. Der Begriff des „Sissy Boy“ ist ein altes Schimpfwort für einen femininen Knaben, der zur Zielscheibe des Spottes und der Aggression seiner derben Altersgenossen wird. Sich mit Romy Schneider zu identifizieren, wie sie in den Armen des attraktiven Karlheinz Böhm liegt, ist nicht schwer, für Frauen nicht und auch nicht für manche Männer. Als Traummaschine einer hübschen Welt der Liebe funktioniert „Sissi“ verlässlich, am emotional überladenen Weihnachtsfest und jeden Abend vor dem Einschlafen.