Der Begriff der „Soziophobie“, der auf den spanischen Soziologen César Rendueles zurückgeht, trifft einen gesellschaftspolitischen Nerv. Sein gleichnamiges Buch rechnet mit den linken Ideologen ab, die im Internet ein Medium der Aufklärung und Emanzipation sehen. Die Furcht (vom griechischen phobos) vor der Gesellschaft (vom lateinischen sozius) wird durch die anhaltende Attraktivität der Metropolen genährt, wo sich zu viele Menschen um endliche elementare Ressourcen balgen. Die einst befreiende Stadt mit ihrem Nebeneinander der Gegensätze verkommt an ihrem Erfolg zum urbanen Raum konsumgetriebener Vereinzelung, Armut und Kriminalität.
In ihrer Euphorie bezüglich des revolutionären Potenzials der digitalen Kommunikation berühen sich groteskerweise die Internet-Konzerne aus dem Silicon Valley und die linken Aktivisten. Wenn die CEOs von Google oder Apple neue Produkte vorstellen, sind ihre Reden von einer Emphase durchtränkt, die einer Predigt gleichkommt. Bei den Filesharing-Initiativen im akademischen Wohlstandsmilieu des Westens wird hingegen auf die globale Vernetzung abgestellt, die dank des Internet möglich wird – ohne allerdings zu reflektieren, dass die internationalen Markt- und Machtverhältnisse sich dadurch kein bisschen ändern.
Dass das Internet nicht zwingend die Solidarität, sondern vielmehr die Konkurrenz fördert, zeigt ein Blick in die Timeline von Twitter oder Facebook. Die Währung beim Buhlen um Aufmerksamkeit ist das Mögen und Teilen einzelner Beiträge; je umfangreicher die Horde der Follower oder Freunde, umso gewichtiger das jeweilige Statement. Man schaue sich einen beliebigen Shitstorm an, in aller Vulgarität und Gnadenlosigkeit, und man wird dankbar sein, den Leuten hinter den Avataren nicht auch noch im realen Leben begegnen zu müssen. Das Internet avanciert zum Werkzeug zur Zerstörung zwischenmenschlicher Beziehungen, die der Turbokapitalismus eingeleitet hat.
Das Internet richtet die Nutzer an der Logik des Marktes aus, so Rendueles, der der Podemos-Bewegung nahesteht. Es inszeniert das Leben als eine nimmer endende Castingshow und stellt alle Spielarten der lindernden Unterhaltung zur Verfügung. Für die Cyberfetischisten muss es einer narzisstischen Kränkung gleichkommen, dass die Masse keine Menschenrechtsberichte liest, sondern sich bei Youporn tummelt und auf Instagram Selfies beim Shoppen hochlädt. Die nach individueller Lustbefriedigung strebenden Subjekte sind in der Summe eine offene Beleidigung und latente Gefahr, wie es die negativen Utopien von Malthus bis Walden skizziert haben.
„Soziophobie ist eine universelle Tendenz, der wir nicht entkommen“, hält Rendueles fest. Diese Erfahrung mussten auch die Piraten machen. Mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Naivität vor ein paar Jahren in einige Landesparlamente gezogen, hat sich die Copyleft-Partei mittlerweile in Postengeschacher und unprofessionellem Dauerstreit aufgerieben. Politik ist Arbeit, mehr als ein lässiger Projektentwurf im Szenecafé, sie setzt Sachverstand, Ausdauer und Kompromissbereitschaft voraus. Sie findet in konkreter Gesellschaft statt, kostet Zeit und ist anstrengender als das Klicken einer Petition auf Campact. Doch eine Alternative gibt es nicht.