„Ich glaube, Berühmtsein macht keinen Spaß“, erklärte der Jojoks. „Anfangs vielleicht, aber dann gewöhnt man sich daran, und zum Schluss wird einem bloß schlecht davon. Wie beim Karussellfahren.“ – Jojoks aus der Mumin-Welt
Generationen von Kindern sind mit den Mumins aufgewachsen, den drolligen Figuren aus dem Reich der Fantasie. Die Schöpferin dieser niedlichen Kobolde ist heute weit weniger bekannt als ihre Kreaturen, dabei hat Tove Jansson (1914 bis 2001) ihr Leben erfolgreich der Kunst gewidmet, dem Zeichnen, dem Malen und später dem Schreiben. Ein kürzlich erschienener Film zeichnet das Leben der schwedisch-finnischen Künstlerin nach, ihren Weg aus dem Schatten des übermächtigen Vaters sowie ihre keimende Liebe zu Frauen.
Tove Jansson wurde 1914 in Helsinki geboren. Der finnische Vater Viktor war ein bekannter Bildhauer, die schwedische Mutter Signe eine ausgebildete Grafikerin, die für den Lebensunterhalt der Familie sorgte und von der die junge Tove das Zeichnen lernte. Das Mädchen, das nur ungern zur Schule ging und dort eher unterdurchschnittliche Noten erzielte, fühlte sich von klein auf in der Welt der Boheme der Künstler wohl, ungeachtet der volatilen finanziellen Verhältnisse daheim. Eine andere Existenz als die einer Künstlerin konnte sie sich nicht vorstellen, dabei begann sie mit dem Malen, zeichnete nebenbei und wollte auch als Autorin reüssieren. Nach dem Abbruch der Schule studierte sie Anfang der 1930er Jahre in Stockholm und Helsinki Grafik und Malerei und kam durch Reisen nach Frankreich, Deutschland und Italien mit der internationalen Kunstszene in Berührung. Zu erster Anerkennung in Finnland fand sie als politische Karikaturistin Ende der 1930er Jahre, ihre Skizzen für die Zeitschrift Garm zum Nationalsozialismus und zum Sowjetkommunismus riefen allerdings auch Ablehnung hervor.
Nationale Weihen erhielt sie 1946, als sie zwei Fresken für den Speisesaal des Stadthauses in Helsinki schuf. Auf Anregung des sozialistischen Politikers Atos Wirtanen, der für einige Jahre Toves Liebhaber und ein lebenslanger Freund war, veröffentlichte sie parallel erste Comics mit den Figuren der Mumins in der Zeitung Ny Tid, für die sie auch die Texte schrieb. Diese von ihr als Broterwerb gesehene Arbeit sollte sie später berühmt und unabhängig machen. Ihre Mumins erschienen nicht nur in Skandinavien, sondern auch in Frankreich, Japan und den USA, sie wurden zu Büchern und Theaterstücken für Kinder adaptiert. Sie illustrierte zusätzlich die Texte von Lewis Carroll und John Ronald Reuel Tolkien, Autoren, die wie sie selbst in ihren Büchern Fantasiewelten für Kinder und auch Erwachsene schufen. Ende der 1950er Jahre begann die Liebesbeziehung zur Grafikerin Tuulikki Pietilä, mit der Tove bis zu ihrem Tod liiert blieb. Die beiden Frauen verbrachten die Sommer auf der kleinen Insel Klovharu im Schärengarten vor Helsinki. Auf der Halbinsel Katajanokka der finnischen Hauptstadt unweit der orthodoxen Uspenski-Kathedrale ist seit 2014 ein Park nach Tove Jansson benannt.
Der Film „Tove“ stellt die Jahre vom Ende des II. Weltkriegs bis zum Ende der 1950er Jahre nach, in denen Tove Jansson zum einen ihren klaren unverwechselbaren Strich beim Zeichnen der Mumins fand und damit kommerziellen und künstlerischen Erfolg hatte, zum anderen eine unglückliche Affäre mit der Theaterregisseurin Vivica Bandler führte und zu ihrer lesbischen Identität fand. Die Schauspielerin Alma Pöysti in der Titelrolle kommt ihrem Vorbild rein optisch frappierend nahe. Als junge Frau steht Tove unter dem dominanten Einfluss ihres Vaters, der sie zwar permanent zum Malen animiert, sie aber zugleich inständig kritisiert und ihr mangelnden Arbeitseifer attestiert. Der Film zeigt eindringlich den Prozess künstlerischer Reifung. Sie selbst sieht sich als Malerin gescheitert, ihre Mumins, anfangs nur als private Skizzen und Geschichten gedacht, um den Bombenangriffen auf Helsinki eine tröstende Welt der Fiktion entgegenzusetzen, nimmt sie selbst nicht richtig ernst.
Der Abgeordnete Atos Wirtanen liebt Tove trotz seiner Ehe, daran ändert auch ihre lesbische Beziehung zu Vivica Brander nichts. Diese ist die Tochter des Stadtkämmerers und anders als Tove finanziell unabhängig. Sie verführt weitere Frauen und verschreckt damit Tove, die ihrem Mann (Atos) und ihrer Frau (Vivica) treu bleibt. In erfreulich offenen Bildern erzählt der Film die Jahre des Erwachsenwerdens im Leben der Künstlerin, angedeutete klassenkämpferische Töne werden leiser, als Tove selbst eine Arrivierte der finnischen Gesellschaft wird. Der Film hält sich an die historischen Vorlagen und liefert ein realistisches Bild einer Zeit, als auch weibliche Homosexualität im protestantischen Norden Europas (bis 1971) noch illegal war. Tove Jansson, die trotz ihrer Kinderlosigkeit stets eine sehr familienorientierte Frau war, gemeinsam mit ihren beiden jüngeren Brüdern arbeitete und erst mit 27 Jahren aus dem Elternhaus auszog, hat selbst etwas von den Trollen, die sie Mumins nennt, sie bewahrt sich ihr kindliches Gemüt und ihre Sehnsucht und macht ihre Träume zu ihrer Realität. Anders als der schwule Zeichner Touko Laaksonen, der in den 1950er Jahren in die USA emigrierte, um seine Freiheit zu finden, wird Tove in Finnland bereits zu Lebzeiten verehrt, was natürlich an ihrem maßgeblich für Kinder konzipierten Werk liegt.
Die Kriegsjahre mit den Bombardierungen Helsinkis waren für das traditionell deutschlandfreundliche Finnland traumatisch, Tove dabei keineswegs ausgenommen. 1939 hatte die Sowjetunion Finnland überfallen, doch rechnete die Rote Armee nicht mit dem erbitterten Widerstand, den das kleine Nachbarland, das nach den Napoleonischen Kriegen bis zur Oktoberevolution eine russische Provinz gewesen war, leistete. Im sogenannten Winterkrieg 1939/40 konnte Finnland seine staatliche Souveränität verteidigen, wenn auch um den Verlust großer Teile Kareliens an die Sowjetunion. Der Krieg, der das Leben der Finnen bestimmte, erfasste auch Tove. Die überzeugte Pazifistin leistete ihren Dienst für die Front, indem sie wie andere Frauen Uniformen und Taschen für die Soldaten nähte, ansonsten zeichnete sie Postkarten, Karikaturen und Buchumschläge; trotz dieser enormen Produktivität bekam sie kaum ausreichend Geld für ihre Arbeit, ein Stipendium blieb ihr verwehrt. Das große, schlecht beheizbare Atelier in der Ullanlinnankatu mit den hohen Decken konnte sie sich nur mit Ach und Krach leisten, an diesem Ort lebte sie intensiv für ihre Kunst. Hier entstanden die Entwürfe für ihre Trolle, die späteren Mumins. Viele Menschen emigrierten angesichts eines drohenden Krieges zwischen der UdSSR und dem III. Reich in die USA oder flüchteten in den Alkohol, Tove ging in die Fantasie.
Ihre später so berühmten Mumins entstanden ungeplant. In ihren Briefen an Vivica Bandler nannte sie ihre Geliebte Vifsla, hinter Tofsla steckte sie selbst. Diese Kosenamen, die auch einzelne Mumins bezeichneten, waren Teil einer codierten Sprache der beiden Freundinnen, um ihre Liebe vor der homosexuellenfeindlichen Umgebung zu tarnen. Als Regisseurin brachte Vivica Bandler 1949 die Mumins auf die Theaterbühne und machte die knuffigen Märchenfiguren noch bekannter. Sie haben kurze Beinchen und Ärmchen, einen klumpigen Rumpf, große runde Augen und ein langes nilpferdhaftes Gesicht ohne Mund, in dem Nase und Kiefer ineinander übergehen. In einem Interview hat Tove Jansson gesagt, die Mumins seien für Sonderlinge gezeichnet, für Kinder, die von anderen geärgert oder gemieden wurden. In Schweden waren die Muminbücher früher bekannt als im kulturell geschlosseneren Finnland, das sich 1952 mit der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele in Helsinki der Welt öffnete und mit dem Architekten und Designer Alvar Aalto Anschluss an die internationale Moderne fand. Ab Mitte der 1950er Jahre wurde Tove Jansson schließlich zur weltweiten Berühmtheit, als die britische Zeitung The Evening News sie exklusiv für sieben Jahre als Zeichnerin der Mumin-Comics verpflichtete und sie sechsmal pro Woche eine kurze Bildergeschichte abliefern ließ. Sie wurde nun von 20 Millionen Menschen gelesen, das Honorar war ihr erstes festes Einkommen.
Als Malerin hat Tove, die sich von französischen Malern, besonders von Paul Cézanne, Henri Matisse und Félix Vallotton, inspiriert wusste, entgegen ihrer jahrzehntelangen Arbeit zu keinem eigenen Stil gefunden. Ihre farbenfrohen Bilder wirken seltsam zweidimensional und flächig, es sind eher leuchtende Farbfelder als ausgemalte Kompositionen. In den lebhaften Debatten der Künstler der 1960er Jahre auch in Finnland zwischen figürlicher und abstrakter Malerei fand sie keine deutliche eigene Position. Ihre Zeichnungen aber offenbaren die Könnerin, die ihre Technik mit souveränem Strich beherrscht, der an die strenge Reduktion des Zen erinnert, und bei den Comics auch treffsichere Verse liefert; eine seltene Eigenschaft, wie sie etwa Charles M. Schulz, der Vater der Peanuts, aufwies. Literarisch wurde Tove von der Wunderbaren Reise des Nils Holgersson, von Alice im Wunderland und vom Dschungelbuch beeinflusst. Das Mumintal hat sie immer in der nordischen Landschaft mit ihrem Austausch zum Meer und zu den tausend Seen verortet; erste Kindheitserinnerungen für das Reich der Mumins gehen zurück auf die Inseln in der Baltischen See, wo das Mädchen seine Sommer verbrachte.
Am Ende ihres langen Lebens sitzt sie mit ihrer Partnerin Tuulikki Pietilä vor der Hütte auf Klovharu und fertigt Mumin-Figuren an. Die berühmte Künstlerin, deren Ex Libris Labora et amare lautete, hat sich zuerst und existentiell über ihre Arbeit definiert, die ihr Freiheit und Unabhängigkeit geben sollte. En passant hat sie als lesbische Frau gegen gesellschaftliche Konventionen verstoßen und unfreiwillig als Rollenmodell gedient, ohne dabei ihre Liebe politisieren zu wollen. Tuulikki half Tove dabei, die kolossale Rolle der Mumins in ihrem Leben zu relativieren und sie nicht als Gefängnis, sondern als Zuflucht zu sehen. 1968 schließlich veröffentlichte Tove den autobiographischen Titel Die Tochter des Bildhauers, angesichts ihrer glänzenden Karriere eine semantische Verdrehung. In dem Buch würdigt sie den Einfluss ihres Vaters auf ihre Kunst, die andere Wege nahm, als sie ursprünglich vorhatte. Und sie freut sich über den Stolz, den der 1958 verstorbene Viktor über den Erfolg seiner Tochter empfand. In ihren Trollen, die gute Geister und böse Dämonen für Kinder aller Alter geworden sind, lebt Tove Jansson weiter, als Frau, die selbst bewusst keine Mutter geworden ist.