Transmann

  Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, / Ist dem Tode schon anheimgegeben, / Wird für keinen Dienst auf Erden taugen, / Und doch wird er vor dem Tode beben, / Wer die Schönheit angeschaut mit Augen. – August von Platen

Im Jahr 1972 fand in Münster die erste Demonstration in Deutschland für die Rechte von Schwulen und Lesben statt. Ein halbes Jahrhundert später gehören die Paraden zum Christopher-Street-Day hierzulande zur Sommerfolklore, Ende August kamen geschätzte 10.000 Menschen in der Domstadt zusammen, um für die Rechte der LSBTIQ-Gemeinde auf die Straße zu gehen. Was als Parade von Lebensfreude, Vielfalt und Gemeinsinn begann, endete mit einem Entsetzen. Ein teilnehmender Transmann wurde von einem Passanten so schwer attackiert, dass er eine Woche später im Krankenhaus verstarb.

Zeugenaussagen zufolge hatte ein junger Mann am Rande des CSD zwei Frauen lesbenfeindlich beschimpft. Ein anwesender Transmann, der die Beleidigungen mitbekam, forderte den Passanten auf, diese zu unterlassen. Daraufhin schlug der Passant ohne Vorwarnung zu, der junge Transmann stürzte zu Boden und schlug mit dem Kopf auf den Asphalt. Er wurde in die Klinik gebracht, wo man ihn in ein künstliches Koma versetzte. Für den vergangenen Freitag war in der Münsteraner Innenstadt bereits eine Kundgebung angemeldet, die sich gegen die Gewalt gegen Schwule, Lesben und Transmenschen richten sollte. Als am Morgen dieses Tages die Nachricht vom Tod des Transmanns die Runde machte, wurde die Veranstaltung unversehens zum Gedenken.

Das friedliche, weltoffene und lebenswerte Münster war geschockt. Gewalttaten, wie man sie aus dem Reichshauptslum kennt, kommen hier nicht vor. Die Regenbogenflagge wurde bereits Mitte August am Stadtweinhaus gehisst, sie passt gut in die Großzügigkeit des Prinzipalmarktes und wirkt nun wie ein Menetekel. Der Oberbürgermeister fand sich unter den Trauernden wieder, der Bischof sprach Worte der Fassungslosigkeit, die biedere Lokalzeitung schrieb wie selbstverständlich von einem Transmann, nannte seinen Namen und sein Alter. Durch den gewaltsamen Tod am Rande des CSD fühlt sich die Stadt selbst getroffen, nicht nur die queere Subkultur. Der mutmaßliche Täter wurde wenige Stunden vor der Kundgebung am Bahnhof gefasst, er ist 20 Jahre alt und mehrfach einschlägig polizeilich aufgefallen. Er muss nun mit einer Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge rechnen.

Das Erschreckende ist seine komplett fehlende Impulskontrolle. Der junge Mann schien die Aggression aktiv gesucht zu haben, als er die Frauen am CSD verbal anging, anders ist das sofortige Zuschlagen auf die Intervention des Transmannes kaum zu erklären. Feige und erbärmlich, wie er wohl sein muss, flüchtete er, nachdem er sein Opfer niedergestreckt hatte, ohne sich um ärztliche Hilfe zu bemühen. Eine ganze Woche dauerte es, bis die Polizei ihn fasste, Reue oder Gewissensbisse zeigte er nicht, zur Tat hat er sich bislang nicht geäußert. Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile bekanntgegeben, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen abgelehnten Asylbewerber aus Tschetschenien handele.

Ob der junge Mann mit einer Tötungsabsicht zugeschlagen hat, müssen die Ermittlungen und die Gerichtsverhandlung klären. Auch wenn er nur nach dem Jugendstrafrecht und lediglich wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt werden würde, drohten ihm im Falle der Verurteilung mehrere Jahre Gefängnis. Seine offenkundige Ablehnung queerer Lebensweisen ist nicht justiziabel, er muss sich nicht für seinen unterstellten Hass verantworten, sondern für seine tödlichen Schläge. Und doch hat diese Gewalttat eine soziale Dimension, da man dem Verdächtigen aufgrund seiner Beleidigungen unterstellen darf, dass er wusste, wer da auf dem CSD marschierte. Er hat sich sein Opfer ausgesucht, eine Zufallsbegegnung war es nicht.

Münster weist bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hin, dass hier 1648 der 30-jährige Krieg mit dem Friedensschluss im Rathaus beendet wurde. Die Gewalttat vom CSD wirkt vor diesem Hintergrund als schlimmer Ausreißer. Die Westfalenmetropole ist schon lange nicht mehr gesellschaftlich konservativ bis reaktionär, wie es Filme aus den 1960er Jahren nahelegen. Die Universität, die zu den größten der Bundesrepublik zählt, versorgt die Stadt regelmäßig mit vielen jungen Leuten, das soziale Gefüge ist vergleichsweise homogen, der Lebensstandard ist sehr hoch, der Ausländeranteil ist gering, erst recht im Vergleich zu den Städten des Ruhrgebietes. Doch auch in dieser beschaulichen Provinz kann die Gewalt gegen Menschen ausbrechen, wenn sie aus einem geschlechtlichen oder sexuellen Raster zu fallen scheinen. Ein als falsch aufgefasstes Wort reichte im vorliegenden Fall, um des mutmaßlichen Täters Affekte in Gewalt umschlagen zu lassen.

Vom Opfer ist bekannt, dass sich der junge Transmann in einer queeren Gruppe engagiert hat und damit etwas zur Emanzipation geschlechtlicher Randgruppen getan hat. Vom mutmaßlichen Täter weiß man bis jetzt nur, dass er nicht das erste Mal als Schläger aufgefallen ist. In seinem Leben hat dieser Abfall wohl nur Gewalt erfahren und weitergegeben – und jetzt ein Leben ausgelöscht, das im Gegensatz zu seinem einem Sinn gewidmet war. Diese Gewalttat offenbart, dass die wachsende Sichtbarkeit queerer Menschen nicht nur mit ihrer Akzeptanz, sondern auch mit ihrer Gefährdung einhergeht. Es sind importierte Problemfälle aus muslimisch geprägten Kulturen, die hierzulande die größte Bedrohung queerer Menschen darstellen. Wenn Politik und Gesellschaft sich dazu nicht verhalten, wird der Tod in Münster nicht der letzte seiner Art gewesen sein.