Trauer

Mit einem Male ist sie da; wie lang sie bleibt, ist vorerst nicht absehbar. Sie legt sich bleiern auf die Seele, lässt den Atem immer wieder stocken, verletzt den Schlaf verlässlich. Ihr einen Ausdruck zu verleihen, ist der erste Schritt zur Genesung: „Give sorrow words“, heißt es an einer berühmten Stelle bei William Shakespeare, „the grief that does not speak whispers the o’erfraught heart and bids it break“. (Macbeth, IV. Akt, 3. Szene)

Trauer ist eine natürliche Folge einer Abwesenheitserfahrung, sie ist ein Zustand und zugleich Prozess. Die klinische Psychologie unterscheidet zwischen kognitiven wie emotionalen Reaktionen auf den erlebten Verlust (grief) und den spezifischen Verhaltensweisen des Trauerns (mourning). Man kann um einen geliebten Menschen trauern, um ein amputiertes Körperteil oder auch um eine gewesene soziale Stellung.

Wie tief die Trauer über das Verlorene geht, ist individuell wie kulturell höchst verschieden. Sie in Worte zu kleiden, ihr einen Ort zu geben mit einem Grab oder einem Altar, macht das Leid zwar nicht ungeschehen, fügt es aber in einen schützenden Kontext, der einen Blick nach vorn erlaubt. Deswegen sind (religiöse) Trauerrituale so wichtig, im inszenierten Abschied liegen Erinnern und Loslassen dialektisch beieinander.

Die Trauer wird mit der Arbeit konnotiert, mit der Begleitung, der Feier und dem Spiel. Sie inspiriert die Dichter und die Musiker, ihr Teilen gibt dem Unaussprechlichen die Worte, welch ein Paradox. Sich im Schmerz zu beugen, lässt ihn tröstend abklingen, peu à peu. Die Nacht ist endlich, des Lebens Rhythmus holt den Menschen aus dem leeren Reich der Schatten, wo die Trauer sich die Zeit noch nimmt.