Literaturpreise sind Instrumente der Hierarchisierung von ästhetischer Kultur, Organe kulturpolitischer Steuerung und gehören als Reflex und Stifter öffentlichen Sinns zum Repräsentationswesen von Kulturen. – Sibylle Cramer
Der Oktober steht verlässlich im Zeichen des Buches. Mitte des Monats trifft sich die Branche zur weltgrößten Buchmesse in Frankfurt am Main, hier werden Lizenzen gehandelt, Diskussionen geführt, Reden gehalten, Autogramme gegeben, Lesungen bestritten und Klatsch wie Tratsch weiter gereicht. Hier sind die international tätigen Konzerne ebenso vertreten wie die mittelständischen inhabergeführten Verlage, Gastland dieses Jahr ist Italien. Anfang des Monats gibt die Schwedische Akademie zudem bekannt, an wen diesmal der Nobelpreis für Literatur geht, Jahr für Jahr ein beliebtes Ratespiel unter den Lesern: Karl-Ove Knausgard? Wohl kaum, erst im letzten Jahr wurde der norwegische Autor Jon Fosse ausgezeichnet. Haruki Murakami? Favorit seit Ewigkeiten, allerdings bekam Kazuo Ishiguro den Preis erst 2017. Leanne Shapton? Sehr interessant, aber noch versteckter als der letzte Geheimtipp. Taylor Swift? Lieber nicht nach dem Bob Dylan-Debakel von 2016.
Auch die Verlagswelt produziert ihre einschlägigen Neuigkeiten. So wurde jüngst bekannt, dass ein bislang branchenfremder Unternehmer den renommierten Suhrkamp-Verlag, eine tragende Säule der Belletristik wie der Geisteswissenschaft der Republik, vollständig übernimmt. Die bisherigen Eigner haben die Villa des legendären Verlegers Siegfried Unseld im Frankfurter Westend verkauft, ein Fingerzeig, dass es selbst beim noblen Hause Suhrkamp wirtschaftliche Spannungen gibt. Dazu passt auch ein Beschwerdeartikel, den die Geschäftsführerin des Merlin-Verlags Anfang des Monats in der FAZ veröffentlichte. Die Autorin Katharina Meyer beklagt darin den angeblich zugenommen Druck auf die Buchbranche, genauer auf die Verlage. Diese litten unter Selbstausbeutung, geringen Margen, hohem Konkurrenzdruck gesichtsloser Konglomerate, Übernahmedrohungen von Investoren sowie allgemein sinkenden Käuferzahlen. Weil sie aber mit ihren Produkten, also Büchern, die Grundlage „unserer Demokratie“ bildeten, sei es nur angemessen, dass sie Zuschüsse von der Politik bekämen, die die Autorin larmoyant einklagt.
Eine Forderung, die zu erheben reichlich Chuzpe voraussetzt. Die Buchbranche, speziell der Verlagskosmos, genießt in Deutschland schon jetzt etliche ökonomische Annehmlichkeiten. So liegt der Umsatzsteuersatz für Bücher, als Kulturgut deklariert, bei 7 Prozent, nicht bei den sonst üblichen 19. So legen die Verlage, also die Produzenten, und nicht der Handel, die Preise für die Bücher fest (damit ist der Grund genannt, warum sich inhabergeführte Buchhandlungen im Wettbewerb mit Ketten à la Thalia und auch Amazon behaupten können). Es gibt weiter eine Unzahl an Literaturpreisen in diesem Land, in Frankfurt beispielsweise wird zum Auftakt der Messe der Deutsche Buchpreis verliehen. Zudem existieren steuerfinanzierte Literaturhäuser, in denen Verlage Lesungen abhalten und ihre Autoren öffentlich und werbewirksam präsentieren können. Nicht zuletzt sorgen verschiedene Fonds für Zuschüsse an Übersetzer, Autoren können sich darüber hinaus für zahlreich zu vergebende Stipendien bewerben.
Doch diese weltweit einmalige Förderlandschaft reicht nach Ansicht Katharina Meyers nicht aus, es sollen nun auch die Verlage Mittel der öffentlichen Hand erhalten. Ihren Vorstellungen nach soll es neben der staatlich subventionierten Bühnenwelt der Opern, Theater und Orchester, der staatlich finanzierten Museen und natürlich dem zwangsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein weiteres kulturelles Standbein geben, das nicht primär eigenwirtschaftlich handelt, sondern umsorgt im Licht und vom Wasser der Politik gedeihen soll – als ob das der Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit wäre. Und all das wegen des unterstellten kulturellen Mehrwertes „der“ Verlage und „der“ Bücher. Ein unbefangener Gang durch eine beliebige Buchhandlung einer deutschen Innenstadt offenbart schonungslos, wie viel überflüssiges Zeug Jahr für Jahr auf Papier gedruckt erscheint, von dem der übergroße Teil bereits in Vergessenheit gerät, bevor er überhaupt wahrgenommen werden kann.
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels legt alljährlich im Juli die Wirtschaftszahlen des deutschen Buchmarktes vor. Für das Geschäftsjahr 2023/24 zieht er eine positive Gesamtbilanz, der Umsatz wird mit 9,7 Mrd. Euro beziffert, einem Plus von 2,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Knapp 42 Prozent dieser Umsätze werden über den stationären Handel generiert, das Internet sorgt für knapp 25 Prozent, 18 Prozent gehen von den Verlagen direkt an institutionelle Endkunden. Die Belletristik hat mit 35 Prozent den größten Anteil am Umsatz, dann schon kommen die Kinder- und Jugendbücher mit 18 Prozent, noch vor den Ratgebertexten mit 12 Prozent. Bei der absoluten Zahl der Buchkäufer ist seit Jahren ein langsamer, aber stetiger Rückgang auf jetzt 25 Mio. zu verzeichnen, was bei leicht steigenden Umsätzen der Branche den Schluss zulässt, dass die weniger werdenden Kunden mehr und teurere Bücher kaufen (und hoffentlich auch lesen). Beim Ausblick der Branche kommt der Börsenverein unter anderem zum Ergebnis, eine Verlagsförderung „zum Erhalt der Vielfalt auf dem Buchmarkt“ sei „unbedingt erforderlich“.
Katharina Meyer zitiert in dem erwähnten Artikel in der FAZ eine von der seinerzeitigen Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Monika Grütters angedachte Verlagsförderung, die bei mindestens 10 Mio. Euro pro Jahr liegen solle. Deren Nachfolgerin im Amt Claudia Roth soll laut Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2025 über einen Etat von insgesamt 1,9 Mrd. Euro verfügen, da lägen die begehrten 10 Mio. Euro also locker drin. (Zur Einordnung: Der Bundeshaushalt 2025 soll komplett bei 488 Mrd. Euro liegen. Der Löwenanteil entfällt mit geplanten 179 Mrd. Euro auf das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 53 Mrd. Euro sind für das Bundesministerium der Verteidigung vorgesehen, noch 49 Mrd. Euro für das Bundesministerium für Digitales und Verkehr und 22 Mrd. Euro für das Bundesministerium für Bildung und Forschung) Der nach Sachgruppen differenzierte Etatentwurf der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien veranschlagt 2 Mio. Euro zur „Förderung der kulturellen Vielfalt unabhängiger Verlage“.
Muss das sein?, fragt sich unvoreingenommen die Steuerzahlerin, die im konkreten Fall auch ausgewiesene Liebhaberin, Käuferin und Leserin von Büchern aus allen möglichen großen, mittleren und kleinen Verlagen ist. Wieso ist es Aufgabe der Regierung, den Betrieb „unabhängiger Verlage“ durch Subventionen mitzufinanzieren? Wer entschiede im Haus der Kulturstaatsministerin nach welchen Kriterien, welche Verlage in den Genuss des Geldes kommen und welche nicht? Spielte gegebenenfalls deren politische Positionierung eine Rolle? Ist bei rund 60.000 Neuerscheinungen jährlich in Deutschland quer durch alle Genres nicht von ausreichender „kultureller Vielfalt“ auszugehen? Muss wirklich jeder Mikroverlag mit drei oder vier Stellen, der ohne einen gutwilligen Mäzen im Rücken innerhalb einer Dekade vielleicht 15 Titel produziert, durch staatliche Unterstützung am Markt gehalten werden? Wäre das Angebot eben jener als hilfsbedürftig deklarierten kleinen Häuser wirklich so wertvoll, innovativ und qualitätvoll sowie kulturell unverzichtbar wie behauptet, setzte es sich gewiss am Markt durch, fände es seine Nische und sein treues Publikum. Ansonsten wäre es Zeit für eine Konsolidierung.
Der Suhrkamp-Verlag hat es vorgemacht, wie die Ökonomie von Liebhabertexten in niedrigen Auflagen gelingen kann. Zu seinem Programm gehören etwa Klassiker wie Bertolt Brecht, Hermann Hesse, Max Frisch und Thomas Bernhard, die auch Jahrzehnte nach ihrem Tod mit ihren stabil verkauften und gelesenen Büchern verlässlich Tantiemen in die Kasse des Hauses spülen. Diese werden dann zur Querfinanzierung zum Beispiel von Lyrik oder Judaica eingesetzt. Festzuhalten bleibt, dass Verlage selbstständige Akteure der Wirtschaft sind, sie handeln mit Büchern, Ideen und Kultur. Sie sind keine bedürftigen Agenten einer Zivilgesellschaft, die vom Staat zu hätscheln und zu päppeln wären. Wenn es so weit käme, könnte die Regierung über eben ihr Steuergeld mitentscheiden, welche Texte nun gedruckt, publiziert und verkauft würden – an einer solchen offenen Einflussnahme der Politik auf intellektuelle, ästhetische und kulturelle Debatten hätten Verleger, Autoren und Leser definitiv kein Interesse. Ist doch die Existenz der Verlags- und Buchwelt im 19. Jahrhundert in bewusster Abgrenzung zum Staat entstanden, ja, gegen seine Zensurvorgaben erkämpft worden. Daran sollte sich die Branche auch heute erinnern.