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  Denn dieser, mein Sohn war tot und lebt wieder, er war verloren und wurde gefunden. – Lk 15,24

Kaum ein Thema polarisiert derzeit so wie Trans. Die Ampelkoalition hat die Eckpunkte eines sogenannten Selbstbestimmungsgesetzes vorgelegt, das es Menschen ab 14 künftig erlauben soll, mit einem simplen Sprechakt auf dem Standesamt Vornamen und Personenstand zu ändern. Einige Mediziner äußern sich besorgt über eine Welle von Transitionswünschen gerade unter geborenen Mädchen, die off label nach Pubertätsblockern, Hormongaben und Operationen verlangten. Als neulich eine Biologin über das natürliche Zwei-Geschlechter-System an der Humboldt-Universität einen Vortrag halten wollte, musste dieser nach Drohungen linker Gruppen abgesagt werden; die Leitung der Universität sah sich außerstande, für die Sicherheit der Vortragenden und des Publikums zu sorgen.

Sascha erlebt diese intensive Berichterstattung in den Medien und Kommunikationskanälen als Mahnung an die eigene missratene Geschlechtsannäherung. Ihr Coming-out begann 1989 im Alter von 24 Jahren mit der Einnahme von Östrogenen, 1991 erfolgten die chirurgische Zurichtung des Genitals und die Personenstandsänderung. Heute ist Sascha 57 Jahre und muss sich seit langem eingestehen, dass die seinerzeit ersehnte Linderung des Leidensdrucks nicht eingetreten ist, von Glück und Erfüllung nicht zu reden, dass es vielmehr nur zu einer Verlagerung der Schmerzen gekommen ist. Die Frau, als die Sascha sich lange gesehen hat, ist sie nie geworden, was an anatomischen Gegebenheiten liegt, die sich einer individuellen Manipulation gerade entziehen. Nicht zum ersten Mal denkt Sascha neben dem Selbstmord an eine Rückkehr ins alte Geschlecht, um wenigstens die letzten Jahre des Lebens nicht in einer Aufmachung zu stecken, für die der eigene Körper nicht gemacht ist.

Mehrfach hat Sascha, die bei neuen Liedern vom Blatt sofort den Ton trifft und diesen locker halten kann, versucht, in einem Chor zu singen. Vergeblich hat sie die Stimme nach oben getrieben, um die Altlage zu erreichen, doch fühlten sich die Mitsängerinnen immer aus dem Konzept gebracht. Eine Sopranistin, die einmal während einer katholischen Messe beim Gloria neben ihr stand, meinte, dass sie stimmlich eindeutig ein Tenor sei, für Sascha voller Scham ein Grund zum Rückzug aus dem Chor. Die Östrogene sorgen zwar mit der Zeit für eine seidig weiche Haut, können aber den Testosteron-induzierten Stimmbruch durch Kehlkopf- und Stimmlippenvergrößerung nicht rückgängig machen. Manchen Transfrauen gelingt es, mit logopädischem Training der Stimme ein weibliches oder zumindest androgynes Timbre zu geben; Sascha ist daran gescheitert und wird am Telefon regelmäßig mit „Herr Warnekros“ angesprochen.

Ginge Sascha tatsächlich den Weg zurück ins amtliche männliche Geschlecht, bliebe ihm die Neovagina mit den einschlägigen Einschränkungen erhalten. Er müsste sich weiterhin mit Entzündungen der Blase herumschlagen, die leicht durch Erreger auf dem Weg durch die typisch weiblich verkürzte Harnröhre hervorgerufen werden. Die Suche nach einem Partner wäre ebenso erfolglos, wie sie es jetzt ist. Gegenwärtig findet Sascha keinen heterosexuellen Mann, der sie als Frau sieht und erlebt und mit ihr schlafen will; ein schwuler Mann bestünde auf einem Schwanz zwischen den Beinen, den es nie mehr geben wird. An diesem Punkt resigniert Sascha vollständig, denn die Einsamkeit und die damit verbundene Lieblosigkeit blieben Elemente auch einer neuen Existenz.

Die Berichterstattung über Trans geschieht mittlerweile so differenziert wie affirmativ. Allerdings ist Sascha immer wieder erstaunt, dass es keine Langzeitbeobachtungen eines Translebens zu geben scheint. Dabei wäre sie mit ihren über 30 Jahren Erfahrung auf diesem Feld prädestiniert, detailliert Auskunft zu geben über die Wirkungen und Nebenwirkungen beispielsweise der externen Östrogene. So wurde bei Sascha Anfang der 2000er Jahre eine Unterfunktion der Schilddrüse diagnostiziert, die medikamentös behandelt werden muss. Auf ihre Frage an ihren behandelnden Arzt, ob es hier kausale Verbindungen bei der Störung des Hormonhaushaltes gebe, konnte dieser nur antworten, dass er seitens der medizinischen Literatur und auch seitens seines Patientengutes keine sehe. Die Transpopulation sei einfach zu klein, als dass es für die Pharmaindustrie lukrativ genug sei, Studien zu den Langzeitfolgen einer gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung aufzusetzen. Weiter hat Sascha seit zehn Jahren eine progrediente Arthrose in beiden Knien, die von heftigen Schmerzen begleitet wird und Saschas Beweglichkeit im Alltag und erst recht beim Sport spürbar einschränkt. Das geliebte Laufen musste sie komplett aufgeben, ihr Fahrrad erklärt sie sarkastisch zu ihrem Rollstuhl. Auch bei der Arthrose bleibt die Frage nach einer Kausalität zu den Östrogenen unbeantwortet.

Ein alter Freund aus Kindheit und Jugend hat ihr seinerzeit gesagt, als sie ihm ihre Transidentität offenbarte, er glaube nicht, dass aus ihm eine schöne Frau werden könne. Der Mann hat leider Recht behalten, dazu hat das Testosteron beim Heranwachsen zu viele Verwüstungen anrichten können, die eben irreversibel sind: tiefe Stimme, große Füße und Hände, kantiger Kiefer, athletischer Körperbau. Dieser ehemalige Freund studierte Medizin, wurde Pathologe und gründete eine Familie; wie Sascha später erfuhr, litt er bereits zu Studienzeiten unter Depressionen, die sich aber medikamentös abfangen ließen. Mit 50 Jahren dann erlitt er einen massiven Schub, der ihn für ein Jahr in die Klinik zwang und der ihn arbeitsunfähig machte. Er schrieb Sascha lakonisch, er habe durch seine Krankheit seine berufliche Existenz verloren. Sie antwortete ihm sachlich, dass sie durch ihre Krankheit nie die Chance hatte, sich eine berufliche Existenz aufzubauen.

Der Vater reagierte entsetzt auf die Transidentität seines Sohnes. Er fühlte sich in seiner eigenen Männlichkeit durch die Hinwendung seines Stammhalters zur Weiblichkeit hin gekränkt und konnte nur wegwerfend und zynisch antworten. So stellte er boshaft fest, dass ihm ja mit dieser Wandlung jedwede Beziehungen und damit verbundene Probleme vorenthalten beziehungsweise erspart blieben. Weiter konstatierte er verzweifelt hinsichtlich der beruflichen Perspektiven seines älteren Kindes, dass, wenn „das“ nicht passiert wäre, dieses heute längst Universitätsprofessor oder Chefredakteur wäre. Saschas Vater sollte mit beiden Prophezeiungen respektive Flüchen Recht behalten: Sascha wurde von keinem Mann je in liebender Absicht berührt, und professionell wechselten sich Phasen volatiler Projekte mit jenen der Freiberuflichkeit und der Arbeitssuche ab. Saschas Lebensstandard ist nach wie vor der eines Studenten der Geisteswissenschaft, erst mit 50 verdiente sie dann angemessen ihres akademischen Abschlusses. Doch blieb ihr eine Karriere als Architekt oder Anwalt versagt; wo andere ihre Zeit und Energie in ihre Ausbildung investieren konnten, musste sie sich mit den Turbulenzen ihrer Transidentität arrangieren.

Kürzlich hat sie eine Einladung zur Mammographie bekommen, sie hat das Schreiben mit einer Mischung aus Belustigung und Verärgerung ins Altpapier gegeben. Ihre Knospen sind niedlich und selbst für Körbchengröße A noch viel zu klein; dieses leblose Fettgewebe zwecks Tumorsuche zwischen zwei Glasplatten zu pressen, erscheint ihr absurd. Sie wird täglich beim Blick in den Spiegel an den Zungenkrebs erinnert, der vor 27 Jahren zu einer Neck Dissection und in deren Folge zu einer entstellenden Narbe am Hals führte. Dieses violette Keloid hält selbst die Wohlmeinenden auf Abstand, es ist das letzte Argument gegen jeden möglichen Kontakt. Durch die Bestrahlung ist ihre Gesichtshaut verbrannt und voller Runzeln um den Mund. Niemand von Saschas Kollegen hat sie je gefragt, ob man nicht gemeinsam in der Mensa zu Mittag essen wolle. Es ist ihnen sichtlich peinlich, mit ihr auch nur auf dem Weg zum Fahrstuhl gesehen zu werden. Man meidet ihre Gegenwart wie die eines Leprakranken.

Ein „Zurück“ ins alte Geschlecht kann es eigentlich nicht geben, dazu hat er erstens nicht lange genug als Mann gelebt und zweitens verbleiben ihm nicht mehr viele Jahre, um sich maskulin einzuleben und die Rolle vielleicht gar zu genießen. Strenggenommen, bliebe er ein Kastrat, wenn auch in eindeutig männlicher Kleidung. Der Vorname müsste nicht einmal geändert werden, denn er gilt gleichermaßen als Männer- wie Frauenname. Es reichte bestimmt aus, die Haare nicht mehr zu tönen und sie einfach kurz schneiden zu lassen – voila, fertig wäre der traurige Clown. Nicht mehr ins Schwimmbad gehen zu können, wäre ein Verlust; allerdings fühlt sie sich im Alter dort immer unwohler mit dem rundum hässlich gewordenen Leib. Sie würde das eine Alleinsein gegen das andere tauschen, und dann könnte auch alles beim bewährten Schlechten bleiben, um nicht eine weitere enttäuschte Hoffnung zu züchten.

Sie hat es vor über 30 Jahren versucht und ist mit dem Versuch einer Geschlechtsannäherung erfolglos gewesen. Sie ist so ernüchtert, sich das nicht als persönliches Versagen anzukreiden: Es gab schlicht keine Wahl zwischen zwei Wegen, es war das Ausbrechen einer seelischen Erkrankung nach langer Latenz. Sie ist eine Überlebende dieser Krankheit und Behinderung und kann nur mutmaßen, wieviel Lebenszeit sie als Tribut an ihren Weg entrichten muss. Ihr Onkel, der an einer Schizophrenie litt, starb mit 69, ihr Cousin, der nach einem frühkindlichen Impfschaden zum Pflegefall avancierte, wurde gerade 51 Jahre alt. Immerhin, denkt Sascha abends im Bett, ist es eine Gnade, nicht pädophil geworden zu sein, sondern nur sich selbst gegenüber zerstörerisch zu agieren. Zu eigenen Kindern ist es gottlob nicht gekommen, sodass denen die Peinlichkeit der Verwandtschaft mit einem Krüppel erspart geblieben ist. Sascha wird dem kleinen Jungen im Herzen Freiräume schaffen, das Schachspiel zählt dazu wie die Beschäftigung mit Karten und Tabellen. Auch eine paradoxe Identität: Eine Transfrau, die sich danach sehnt, ein Junge zu sein. Das Doppelleben geht weiter, auch ohne Zurück.