Ganz egal, ob es um Flüchtlinge geht, die Krise Griechenlands, die Nutzung tragbarer Telefoncomputer oder die Kindererziehung – in den Medien dieses Landes nehmen die Schlagzeilen und Titel dramatisch zu, die davon künden, was wir zu tun oder zu unterlassen haben. Wir müssen mehr Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten, wir haben die Pflicht, Griechenland im Euro zu halten, wir sind auf dem besten Wege, von Smartphones abhängig zu werden, wir überfordern unsere Kleinsten, die schon mit zwei Jahren in der Kita Mandarin lernen müssen.
Beim Lesen und Nachdenken dieser im hohen Ton des Alarmismus vorgetragenen Thesen stellt sich die Frage, wer zu diesem imaginären „wir“ eigentlich gehören soll? Es scheint im permanenten Wettstreit zwischen traditionellen Medien und dem Social Web eine grobe Strategie des Boulevards zu sein, immerzu „uns“ anzusprechen, als ließe sich nur so eine Prise Aufmerksamkeit generieren; ein Trend, der längst auch seriöse Blätter von der Süddeutschen bis zur ZEIT erfasst hat. Doch was für Pfarrer am Ambo oder Politiker im Wahlkampf statthaft sein mag, nämlich eine Gemeinschaft sprachlich herzustellen und von dieser eine gemeinsame Position oder Handlung zu fordern, ist für Journalisten eine klare Untugend.
Es gehört sich nicht, die Grenze zwischen den Berichtenden, dem Thema und dem Publikum in einem vorgeblich einenden „Wir“ aufzuheben. Korrekter, sauberer Journalismus ist sich immer der Distanz der Erzählenden zum Objekt ihrer Darstellung bewusst, genau darin liegen im Übrigen seine Unabhängigkeit und der Garant, ernst genommen zu werden. Die Sympathie zum Thema mag vorhanden sein – sie darf niemals dazu führen, die in aller Regel unterschiedlichen Interessen der Akteure, Chronisten und Rezipienten zu ignorieren. Ein umarmendes „Wir alle“ nimmt seine Adressaten nicht für voll, deklamiert im Vorfeld schon, was die Leser zu denken und zu fühlen haben. Wer auf diesem unheilvollen Pfad der Eingemeindung weiter schreitet, braucht sich nicht zu wundern, wenn mehr und mehr Menschen sich ganz der flachen, vermeintlich kostenlosen Häppchenkultur der Blogs, Foren und Sites überlassen, wo nicht unterschieden wird zwischen bezahltem Inhalt und glaubwürdig recherchierten Fakten. Zusammenhänge und Hintergründe geraten diesem Instantsprech ohnehin nicht in den Blick.