Beatrice

25 Jahre sind in der Welt des Balletts eine Ewigkeit. Und beim fahrenden Volk der Bühnenkünstler diese Zeit an nur einem Haus zu verbringen, kommt einer seltenen Ausnahme gleich. Die Prima Ballerina Beatrice Knop hat fast ihr gesamtes Berufsleben in der Berliner Ballettcompagnie zugebracht und in dieser Zeit alle weiblichen Rollen des klassischen wie modernen Balletts getanzt. Sie bleibt dem heimischen Publikum und den zahlreichen Gästen in lebhafter Erinnerung dank ihrer makellosen Technik, ihrer uneitlen Disziplin und ihres enormen schauspielerischen Talentes.

Beatrice Knop wurde 1972 in Berlin-Pankow geboren und wuchs in Friedrichshain auf. Das umsorgte Einzelkind fing als sechsjähriges Mädchen mit dem Turnen an und begann zwei Jahre später mit dem Training im Ballettsaal. Professionell ausgebildet wurde sie an der Staatlichen Ballettschule Berlin nach russischer Tradition, im Jahr 1989 gewann sie den Prix de Lausanne in Tokio. Mauerfall, Wende und Wiedervereinigung bekam sie angesichts des umfangreichen Trainings nur nebenbei mit, ihre totale Konzentration auf die Karriere als Tänzerin führte 1991 zum Engagement bei der Compagnie de Ballett der Staatsoper Unter den Linden als Solistin. 1995/96 wechselte sie als Solistin ans Alva Aalto Theater in Essen, um nach nur einer Saison aus Heimweh zurück nach Berlin zu gehen, wo sie sich gegen Steffi Scherzer durchsetzte und 1998 zur Ersten Solistin ernannt wurde. Sie brillierte im Repertoire von „Giselle“ über „La Sylphide“ bis „Schwanensee“, Tourneen führten sie nach Kanada, China, Frankreich, Japan, Italien und die Schweiz.

Mit dem Antritt Vladimir Malakhovs als Erstem Solotänzer und Intendant im Jahr 2002 kam internationaler Glanz in die Stadt, einmal im Jahr lud er zur Gala „Malakhov & Friends“, zu der die Elite der Tanzstars aus der ganzen Welt zum Gastspiel anreiste. 2004 wurden die Compagnien der Deutschen, der Komischen und der Staatsoper aus Kostengründen zu einer zusammengelegt. Schlagartig avancierte Knop zur Dienstältesten des Corps, zusätzlich holte Malakhov die 12 Jahre jüngere Polina Semionova direkt nach der Ausbildung als zweite Prima Ballerina ans Haus. Diese Konkurrenz auf höchstem Niveau, typisch für das Ballett, hat Knop aber nach eigener Aussage als Ansporn empfunden, in vielen Stücken war sie Seit an Seit mit der kongenialen Russin zu sehen. Schließlich gab sie im Februar 2016 nach 25 Jahren im Tanzdienst ihre Abschiedsvorstellung an der Deutschen Oper, seitdem ist Beatrice Knop als Produktionsleiterin, Lehrerin und Ballettmeisterin beim Staatsballett beschäftigt. Der gute Ruf des Hauses ist auch ihr zu verdanken.

Ihre unverwechselbare Art zu tanzen, zeigt sich neben den klassischen Rollen des Balletts gerade im modernen Tanz, der von den Akteuren und Aktricen neben der absoluten Elastik und Strenge der Körperbeherrschung auch den lyrischen und dramatischen Ausdruck im Schauspiel abverlangt. In der Spielzeit 2010/11 trat Beatrice Knop im Rahmen der Gala „Malakhov & Friends“ gemeinsam mit Dmitry Semionov im Stück „Intimate Distance” des Komponisten Otto Bubenicek auf, die Choreografie stammte von dessen Bruder Jiri Bubenicek (auf YouTube findet sich eine Aufnahme dieses gut fünf Minuten währenden Pas de Deux). Anders als in der Tradition, trägt Knop keine Corsage, weder Tüll noch Tutu, sondern wie ihr Partner eine weite Hose und ein bequemes Shirt, dazu die obligaten Spitzenschuhe, die Haare hängen offen schulterlang, das Gesicht ist karg geschminkt. Auf der Bühne stehen keinerlei Requisiten, der Hintergrund ist in rotes Licht getaucht, der Boden ist blau erleuchtet.

Beatrice Knop ist mit ihren 1,73 m Körperlänge für eine Balletteuse eigentlich zu groß, im Duett mit Dmitry Semionov spielt das aber keine Rolle, da der Russe sie um Haupteshöhe überragt und ihre zarten 52 kg locker heben kann. Beatrice, die routinemäßig Schwäne, Feen, Hexen und Bauernmädchen interpretiert und bei ihren Pirouetten, Sätzen und Sprüngen das unmäßig Schwierige so einfach aussehen lassen kann, wirkt nun quasi privat wie beim Rave im Berghain. Mit den oftmals steifen Kostümen und Uniformen verschwinden das Manierierte und Gekünstelte des Balletts, die schieren Leiber von Knop und Semionov treten hervor. In den vorderen Reihen des Parketts ist das Beben des Brustkorbs sehen, das Atmen zu hören und das Federn der Dielen zu spüren. Zu den schrillen Klängen der Musik, die an diesem Abend vom Band kommt, inszenieren die beiden Publikumslieblinge einen Liebeskampf, der vom Werben und Verstoßen, von der Koketterie bis zur Hingabe reicht. Akrobatik und Zirkus sucht man hier vergebens, es geht vielmehr um Liebe, Schmerz und Verführung. Die Posen der beiden erweitern das Ballett um die Dimension der Pantomime.

Die Laufbahn einer Tänzerin ist die einer Hochleistungssportlerin. Das ernsthafte Üben beginnt bereits in der Kindheit, die Jugend steht ganz im Zeichen des semiprofessionellen Trainings, das keine Zeit für alterstypische Vergnügungen lässt; noch vor dem Abitur endet die eigentliche Ausbildung. Nach 15 bis 20 Jahren an der Spitze zieht die Biologie unbarmherzig den Schlussstrich, anders als bei einer Schauspielerin oder einer Sängerin gibt es keinen gleitenden Wechsel ins Charakterfach. Analog zum Sport existiert ein heftiger Wettbewerb um die wenigen Stellen auf den Tanzbühnen, das Drängen des Nachwuchses tut das Übrige. Ab Mitte 30 nehmen die chronischen Schmerzen an den Zehen, den Knöcheln, den Knien und den Lendenwirbeln überhand, Gelenke und Sehnen büßen an Dehnbarkeit und Geschmeidigkeit ein, die Phasen der Regeneration dauern länger, Blessuren heilen langsamer ab. Über das 40. Jahr hinaus kann nur tanzen, wer von schweren Verletzungen verschont bleibt.

Bei der „Intimate Distance“ kommt Beatrice das jahrelange Training an der Ballettstange zugute, ihr Rumpf ist lotrecht, ihr Spann überbeugt, sie öffnet, an den Partner wie an eine Säule geschmiegt, die Beine zu einem 180°-Winkel, sackt im nächsten Moment in sich zusammen und steht mit dem Schwung des Fallens wieder auf, wie beim Aikido. Was sie beim täglichen Drill im Saal nicht lernen kann, nämlich Begehren, Sehnsucht und Verzweiflung nicht nur zu spielen oder mit Worten auszudrücken, sondern zu verkörpern, ist das Resultat jahrelanger Erfahrung auf der Bühne und im Leben, was sich im Falle Knop nicht immer klar trennen lässt. Das uralte Spiel „Junge trifft Mädchen“ nach dem Muster Anziehung/Abstoßung, das die beiden aktualisieren, bekommt seine Glaubwürdigkeit durch die Mimik und die Körpersprache abseits der diffizilen Figuren, gerade die Straßenkleidung des Paares offenbart die Wucht und die Verletzlichkeit, die mit Liebe immer einhergehen. Nach dem finalen Kuss lassen die beiden voneinander ab und sinken einsam für sich zu Boden. Das Publikum ist begeistert und spendet nach dem langen Luftanhalten erleichtert Beifall.

Das Staatsballett des Reichshauptslums absolviert jährlich 105 Vorstellungen an den drei Opernhäusern der Stadt, 81 Tänzerinnen und Tänzern aus über 30 Nationen gehören zur größten Ballettcompagnie Deutschlands. Seit fünf Jahren arbeitet Beatrice Knop nun hinter der Bühne und gibt ihre DNS an die nächste Generation weiter. Ihr Körper, der den permanenten Strapazen des Leistungssports nun nicht mehr ausgesetzt ist, ist noch so zierlich und filigran wie zu ihren besten Zeiten, das mädchenhafte Gesicht ist mit einigen Falten verziert, ihr voller Schopf ist vermutlich getönt. Vom Tanz kann sie nicht lassen, genauso wenig wie von ihrer Geburtsstadt. Das muss man wohl Schicksal nennen, das man nur annehmen kann, um das Beste daraus zu machen. Wenn Beatrice Knop mit ihren gestelzten Schritten den Saal durchmisst, ist jeder Muskel ihres Körpers erwartungsvoll gespannt, die Schultern gerade, der Nacken aufrecht, fest der Blick. Auch wenn ihr Platz nun im Maschinenraum der Compagnie ist, ist sie doch die Tänzerin geblieben, die sie von klein auf war. Offenbar war es das wert.