Nimmt man die „Exerzitien“ wörtlich, handelt es sich dabei schlicht um Übungen; diesen alltäglichen Sinn haben auch das englische exercise, das französische exercice und das spanische ejercicio bewahrt. Das militärisch konnotierte Verb „exerzieren“ hingegen kommt dem Kern der Bedeutung näher: Im Lateinischen steht „exercere“ für nicht ruhen lassen resp. Bewegung verschaffen.
Ignatius von Loyola (1491 – 1556), adliger Höfling und Ritter, nach einer Bekehrung im Zuge einer schweren Verwundung dann 1534 Gründer des ganz der katholischen Gegenreformation verschriebenen Jesuitenordens, hat seine „Exercitia spiritualia“ erstmals 1548 veröffentlicht. Knapp und spröde im Kanzleistil unter Verwendung eines strengen Kommando-Vokabulars verfasst, dienen die geistlichen Übungen ihrem Autor gemäß dazu, „das Gewissen zu erforschen, sich zu besinnen (meditar), zu betrachten (contemplar), mündlich und im Geiste zu beten“. Dergestalt sollen die Beziehung zu Gott vertieft und das Geheimnis des Lebens erfahren werden.
Im Original werden von Ignatius für die Exerzitien rund 30 Tage veranschlagt, die sich auf vier aufeinander aufbauende Abschnitte verteilen. Zunächst geht es um die Erwägung der eigenen Sünden; sodann um die Betrachtung des Leben Jesu bis zum Einzug in Jerusalem; folgend um die Passion Christi; abschließend um des Erlösers Auferstehung und Himmelfahrt. Zur lebendigen Vergegenwärtigung der Passagen werden dem/der Übenden geeignete Stellen des Evangeliums dargeboten, über die es zu meditieren gilt, so konkret wie irgend möglich.
In der modernen Welt sind gut vier Wochen umfassende Exerzitien wohl nur für Ordensleute zu realisieren, ihre Struktur ist jedoch an ein knapperes Zeitbudget anpassbar. Ignatius empfiehlt für ihre Dauer den Rückzug aus dem geschäftigen Alltag, um eine höchstmögliche Konzentration auf das Seelenheil zu erreichen. Diesem Ziel dienen das Schweigen während der Praxis an einem eigens hergerichteten Ort, unterbrochen lediglich für ein Gespräch mit dem Geber der Exerzitien, das Verharren in demütiger Körperhaltung sowie die Mäßigung beim Essen bis hin zum Fasten. Elementar ist das Moment der Wiederholung: Jeder Tag folgt einem gleichbleibenden Rhythmus von Sammlung, Gebet, Kontemplation und Dank; ein uns andere Mal ergeht der Befehl „Bitten um was ich begehre“.
Der Lohn der Exerzitien ist nach Ignatius der geistliche Trost, von dem die Rede ist, „wenn in der Seele eine innere Bewegung sich verursacht, bei welcher die Seele in Liebe zu ihrem Schöpfer und Herrn zu entbrennen beginnt“. Trostlosigkeit findet ihren Grund meist in lauer und träger Praxis, in einer solchen Phase soll man keine Änderung erwägen, sondern zur getroffenen Entscheidung stehen. Dass der Geist während der Übungen sündhaft umherschweift, ist nur menschlich; ihn auf die sittsame Weise zu lenken, ist Absicht, Wesen und Ergebnis der Exerzitien.
Abseits des religiösen Kontextes, für den sie geschrieben wurden, finden sich Spuren der Exerzitien in allerlei Formen des Coachings wieder. Hier wie da wird der Blick in den Spiegel gesucht, geht es um das bewusste Wahrnehmen und Zuhören, werden Quellen der Kraft erschlossen, wird unter Anleitung einer/s Erfahrenen ein Weg der Stärkung beschritten. Auch heute haben die Exerzitien nach Ignatius das Potenzial zur Wiederverzauberung der Welt – es liegt an jeder/m Einzelnen, sich der Realität jenseits des Verstandes zu öffnen, gerade in Zeiten der Krise und der Veränderung. Eine Frage der Übung, wie die Praxis lehrt.