Fahrverbot

Vor drei Jahren wurde bekannt, dass die Volkswagen AG jahrelang, systematisch und unter Billigung des Vorstands durch eine manipulierte Software das Ausmaß der Stickoxid-Emissionen aus den Dieselmotoren ihrer Fahrzeuge verschleiert hatte. Mit diesen kriminellen Machenschaften konnten die von der Europäischen Union (EU) definierten Grenzwerte zur NOx-Konzentration in der Atemluft formal eingehalten werden. Mediziner (m/w) weisen seit langem auf die kausale Verbindung zwischen dem dauerhaften Einatmen von Stickoxiden („Feinstaub“) und schweren Erkrankungen der Atemwege (Asthma, Bronchitis, COPD) hin.

Dessen ungeachtet hat die deutsche Politik bis heute nichts unternommen, um die Gesundheit der Bevölkerung speziell in den stark verdreckten Großstädten zu schützen. Vom Bundesverkehrsminister über die Ministerpräsidenten der Länder bis zu den Kommunalpolitikern ist es erklärter Konsens, die Verursacher der Luftverschmutzung zu schonen und ein medizinisch wie volkswirtschaftlich dringend gebotenes Fahrverbot um jeden Preis zu vermeiden. Die – kurzfristigen – Interessen der Autofahrer und der Automobilindustrie sind der Bundesregierung offensichtlich wichtiger als effiziente Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Menschen. Das darf man guten Gewissens als Leistungsverweigerung bezeichnen.

In einer Demokratie mit einer funktionierenden Gewaltenteilung übernimmt nun die Jurisdiktion die Aufgaben der Exekutive und der Legislative. Mit seinem Urteil vom 27. Februar 2018 erklärte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Fahrverbote für Dieselautos in Düsseldorf und Stuttgart grundsätzlich für zulässig, um die kommunalen Luftreinhaltepläne zu erfüllen. Den Regierungen der Autoländer Nordrhein-Westfalen (Ford) und Baden-Württemberg (Daimler) wird somit amtlich bescheinigt, bei weitem nicht genug getan zu haben für eine gesündere Atemluft in den Städten.

Einen Schritt weiter geht nun das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit seinem Urteil vom 5. September 2018, das für Frankfurt am Main verkehrspolitisches Handeln anordnet: „Angesichts der hohen Grenzwertüberschreitung im Stadtgebiet Frankfurt hat das Gericht die Einführung eines zonenbezogenen Fahrverbots für notwendig erachtet. Wegen der nach wie vor starken Gesundheitsgefährdung der Innenstadtbewohner, der Fahrradfahrer, der Fußgänger und Insassen der durchfahrenden Fahrzeuge verpflichtet die Kammer deshalb das Land, dieses Fahrverbot für Fahrzeuge der Dieselfahrzeuge einschließlich der Klasse Euro 4 und Benziner der Klassen 1 und 2 bereits ab dem 1. Februar 2019 vorzusehen.“

Die Befürworter (m/w) einer menschengerechten und modernen Stadtplanung können angesichts dieser schallenden Klatsche für die Versäumnisse der politisch Verantwortlichen ins Schwärmen geraten, lassen sich doch selbst in der notorischen Autorepublik Deutschland die immensen Kosten des motorisierten Verkehrs nicht länger leugnen. So hält das Umweltbundesamt in einer Studie vom März dieses Jahres fest, dass die kardiovaskuläre Mortalität durch NO2-Langzeitexposition auf jährlich knapp 6.000 vorzeitige Todesfälle und rund 50.000 verlorene Lebensjahre beziffert wird.

Die Lösung ist naheliegend: Weniger PKW, mehr Fahrräder, bei Förderung des ÖPNV. Die NGO Greenpeace dokumentiert in einem Papier vom August dieses Jahres, dass jeder gefahrene Kilometer Autoverkehr 20 Cent an gesellschaftlichen Kosten generiert (Verkehrsunfälle, Luftverschmutzung, Klimaerwärmung), während der Radverkehr einen gesellschaftlichen Nutzen von 30 Cent pro gefahrenem Kilometer bringt (Radfahrer werden seltener krank und produzieren keinerlei Emissionen). Allerdings muss dafür die Infrastruktur in deutschen Städten deutlich verbessert werden – in Berlin wurden im laufenden Jahr bereits acht Radfahrer (m/w) von Autofahrern getötet.

Der größte Konstruktionsfehler in der Geschichte des PKW bleibt indes der Fahrer, der sich in seiner klimatisierten Blechkiste von seiner Umwelt isoliert und lediglich seinen eigenen Mobilitätsinteressen folgt, ohne zu realisieren, dass er damit andere Verkehrsteilnehmer behindert – er steht nicht im Stau, er ist der Stau. Für ihn ist das Fahren wie ein Computerspiel, in dem er auf bewegliche Ziele zusteuert. Wie viele junge Männer, gerne mit Migrationshintergrund und dafür ohne Empathie, möchten einmal straffrei Anis Amri spielen! Und jene Helikoptereltern, die ihre Kinder im Schlampenpanzer zur Kita spedieren, misstrauen ihresgleichen: Sie wollen ihren Nachwuchs nicht dem mörderischen Autoverkehr aussetzen, für den sie mitverantwortlich sind. My car is my tank.

Aus den USA stammt im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr der Begriff der Critical Mass. Damit ist die notwendige Anzahl an Radfahrern gemeint, ab der sie sich auf der Straße, umgeben von Autos, sicher fühlen. Analog dazu kann man von der Toxic Mass sprechen, jener Masse an Autos, die die Straßen chronisch verstopfen und mit ihrem Lärm, ihrem Flächenfraß und ihren Abgasen eine Zumutung des städtischen Lebens darstellen. In deutschen Metropolen ist diese Zahl schon längst überschritten, es wird höchste Zeit für einen Paradigmenwechsel in Sachen urbaner Mobilität. Fahrverbote sind so simple wie wirksame Werkzeuge auf dem Weg dahin.