Schon die Titel seiner Bücher lassen aufhorchen: Die Blusen des Böhmen, Im Glück und anderswo, In Zungen reden oder Reim und Zeit. Hier wird munter aus der Tradition zitiert und diese zugleich verballhornt. Die Texte spielen mit den Erwartungen der Leserschaft und durchkreuzen sie behende – dieses Motiv zieht sich durch das dichterische Schaffen Robert Gernhardts, einem nie so ganz ernstgenommenen Autor, der gern das zweifelhafte Label des Humoristen trug.
Robert Gernhardt wurde 1937 in Tallinn geboren. Der Sohn eines Richters und einer Chemikerin wuchs in Göttingen auf und studierte Malerei und Germanistik in Stuttgart und Berlin; er begann in den frühen 1960er Jahren als Karikaturist der Zeitschrift Pardon. Anschließend arbeitete er als freier Schriftsteller, Redakteur und Zeichner in Frankfurt am Main und in der Toscana, wo er 1972 ein Haus gekauft hatte. Zusammen mit seiner Frau Almut illustrierte er Kinderbücher, für die Filme des Komikers Otto Waalkes verfasste er Drehbücher. 1980 zählte er zu den Mitbegründern des Satire-Magazins Titanic, sein Werk wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Robert Gernhardt starb 2006 in Frankfurt am Main an Krebs, wo er mit seiner Frau begraben liegt.
Unverwechselbar ist seine Lyrik, die sich formal virtuos an Metrik, Reim und Versmaß orientiert, inhaltlich zwischen Parodie, Komik, Tiefsinn und Kulturkritik changiert. Seine Oden kommen in den ersten Strophen oft leise und harmlos daher, um zum Ende hin unversehens ins Gallige zu kippen, wie in Zurück zur Unnatur: „Zurück aus dem Wald / wo Blätter verkümmern / Kronen sich lichten / Äste verdorren / Rinden aufplatzen / Stämme hinstürzen – / Beute des Sturms / Opfer des Fortschritts / Geiseln des Wandels / Treibgut der Zeit. // Zurück in der Stadt / wo strahlende Wände / den Himmel verstellen / und ihn verdoppeln – / Türme aus Glas / Spiegel des Wechsels / Stelen aus Licht / Monumente der Dauer: // Wer möchte leben / ohne den Trost der Hochhäuser!“
Dass Lyrik eine besonders verdichtete und gefühlige Gattung sei, wird Robert Gernhardt umstandslos unterschreiben; dass sie zuerst für Wohlbehagen und Erbaulichkeit zuständig sei, beiläufig dementieren. In seinen Stimmenimitationen von Gott bis Jandl nimmt er sich forsch etwa Platon, Dante, Goethe, Wilhelm Busch und Thomas Mann vor, schreibt deren literarischen Klang veralbernd weiter und macht sich über ihre Themen durch Übertreibung lustig. Vor seinem anarchischen Beifall ist auch das Neue Testament nicht sicher: „Paulus schrieb an die Apatchen: / Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen. // Paulus schrieb an die Komantschen: / Erst kommt die Taufe, / dann das Plantschen. // Paulus schrieb den Irokesen: / Euch schreib ich nichts, lernt erst mal lesen.“
Gernhardts Zeilen nehmen die Beflissenheit des Kulturbetriebs, der Habitus über die laufenden Regalmeter Buch definiert, liebevoll aufs Korn, weiß sich der Dichter doch als Teil des skizzierten Milieus der Literaten, Rezensenten, Bohemians und Impressarios (m/w/d). Bei allem Geplänkel wird Robert Gernhardt nie ekelhaft, er schreibt und zeichnet immer auch ideell für Kinder und Jugendliche. Wer seine Gedichte laut liest, um das Vergnügen an ihnen zu steigern, wird vermutlich vor lauter Lachen nicht in einem Rutsch bis zur Pointe kommen. Es dürfte dieses Element der Närrischen gewesen sein, das Gernhardt trotz seines dichterischen Könnens nie zu einem Kandidaten für den Büchner-Preis hat werden lassen.
Doch wer Gernhardt ob seines Witzes für zu leicht befindet, hat ihn entweder nicht zu Ende gelesen oder nur zur Hälfte verstanden. Der erklärte Genießer sprachlicher wie kulinarischer Freuden entlarvt die Pose des hohen Ernstes, die im Feuilleton als Gütesiegel des wahren Werkes geführt wird; auch Poeten haben Verdauung und Verstopfung, auch alternde Künstler begehren attraktive Frauen, auch Possenreißer sehnen sich nach Mäzenen. Bei aller Bildung und beruflichem Erfolg unterläuft ihm nicht der Fehler, sich für einen moralisch besseren Menschen zu halten, der sein Publikum insgeheim verachtet – er spottet lieber öffentlich.
Und melancholische Töne findet Gernhardt in seinem Krebsfahrerlied anlässlich seiner Chemotherapie: „Durch die Auen, / durch die Triften / reise ich, mich zu vergiften. // Winde säuseln, / Strahlen blitzen, / bald werd ich am Gifttropf sitzen. // Hügel locken, / Berge blauen, / schon kann ich das Gifthaus schauen. // Durch die Flure, / durch die Weiten / sieht man mich zum Giftraum schreiten, // Um dort über / viele Stunden / an dem Gifte zu gesunden. // Oder auch nicht.“ Auch im Sterben bleibt er sich treu, der Meister des Trivialen, der Schmuck und Alltag so unnachahmlich mischt. Ob er nun die Engel im Deklamieren unterweist? Oder doch die Teufel im scharfen Strich? Zum Glück bleiben seine Gedichte hier.