Hymne

Auferstanden aus Ruinen
und der Zukunft zugewandt,
Laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen
Und wir zwingen sie vereint,
Denn es muß uns doch gelingen,
Daß die Sonne schön wie nie
Über Deutschland scheint.

Glück und Frieden sei beschieden
Deutschland, unserm Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
Reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen,
Schlagen wir des Volkes Feind!
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
Daß nie eine Mutter mehr
Ihren Sohn beweint.

Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
Lernt und schafft wie nie zuvor,
Und der eignen Kraft vertrauend,
Steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben
Unsres Volks in dir vereint,
Wirst du Deutschlands neues Leben.
Und die Sonne schön wie nie
Über Deutschland scheint.

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Diesen dreistrophigen Text verfasste Johannes R. Becher im Herbst 1949 im Auftrag des Politbüros der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die lyrische Vertonung lieferte Hanns Eisler. Anfangs als Nationalhymne für ganz Deutschland gedacht, avancierte das Lied nach der Gründung der DDR faktisch zu deren Marsch. Die Musik Eislers orientiert sich an der österreichischen Kaiserhymne, komponiert von Joseph Haydn (1797), nach der die heutige deutsche Nationalhymne gesungen wird. Deren Verse lassen sich zu Eislers Melodie genauso singen wie die Bechers zu der Haydns. Außerdem korrespondieren diese beiden mit der Melodie des Chores „An die Freude“ aus der 9. Sinfonie Ludwig van Beethovens (1824) und dessen Text von Friedrich Schiller. Nach dem Grundlagenvertrag von 1972 mit der faktischen Zwei-Staaten-Lösung wurde die Hymne nur mehr instrumental intoniert, „Deutschland, einig Vaterland“ schien passé.

Tatsächlich kommt der leicht sentimentale Text Bechers ohne jeden Bezug zur keimenden DDR aus, weder ist vom Aufbau des Sozialismus die Rede noch von der sich anbahnenden Teilung des Landes und der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges. Die Schrecken des II. Weltkrieges sind erkennbar präsent bis ins letzte Komma, ebenso der offene Blick, der angesichts des Neuanfangs auf Trümmern nur nach vorn gerichtet sein kann. Die Liebe zum Vaterland wird ausgesprochen, die Arbeit für den Frieden geehrt, die internationale Familie der Völker beschworen, an die tragende Rolle der Jugend appelliert. Schuld und Scham angesichts der jüngsten Vergangenheit existieren nicht, zeitlos werden die Kräfte auf ein sonniges Morgen gebündelt, ohne geographische Begrenzung oder territoriale Ansprüche.

Im Jahr der Vereinigung 1990 wurde von DDR-Bürgerrechtlern (m/w/d) vorgeschlagen, diesen optimistischen Canto zum Wohlklang gesamtdeutscher Souveränität zu machen – vergeblich, das „Lied der Deutschen“ von Hoffmann von Fallersleben (1841) mit seiner dritten Strophe blieb die offizielle Weise. Eine traurig verpasste Gelegenheit, Deutschland nach der Epochenwende 1989/91 als freie und föderale Republik auch repräsentativ neu zu begründen. „Auferstanden aus Ruinen“ ist ebenso im Ozean der Geschichte versunken wie der Palast der Republik, das Banner mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz sowie die „Aktuelle Kamera“. Institutionell war die Vereinigung vor exakt 30 Jahren lediglich die Ausdehnung des Geltungsbereiches des Grundgesetzes (West) auf das Gebiet der Neuen Länder (Ost), inklusive der D-Mark. Die mögliche Ausarbeitung einer neuen Verfassung wurde nie ernsthaft in Erwägung gezogen.