Der Sturz der Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) war hart und schnell. Patricia Schlesinger war nach schweren Vorwürfen der Korruption, des Nepotismus und der Basenwirtschaft in ihrem Amt an der Spitze des Senders nicht länger zu halten, mittlerweile wurde sie fristlos entlassen. Auch wenn für sie bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung zu gelten hat, ist eine Debatte um die Notwendigkeit einer Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR), zu dem auch der RBB gehört, nicht mehr aufzuhalten. Dabei konzentrieren sich die bisher geäußerten Vorschläge auf eine bessere Kontrolle des Leitungspersonals, allerdings gehört das ganze System des ÖRR mit seiner Zwangsfinanzierung auf den Prüfstand.
Der ÖRR in Deutschland ist ein Kind der frühen Jahre unter alliierter Besatzung. Die Militärbehörden der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungen erteilten in den westlichen Zonen des besiegten Deutschland ab 1946 erste Lizenzen für Zeitungen und Zeitschriften sowie für Rundfunkfrequenzen. Dabei stand bei den Alliierten die Re-Education, also die Umerziehung des deutschen Volkes nach dem Ende des III. Reiches auf der Agenda. Ein gebührenfinanzierter Rundfunk, nach dem Vorbild der britischen BBC als Massenmedium und unter direkter Kontrolle der Militärverwaltung, erschien auf dem Feld des Radios und des Fernsehens als geeignetes Mittel. Überdies waren in jenen Jahren Rundfunkfrequenzen knapp, sodass es sinnvoll war, den Zugang dazu administrativ zu regulieren. Finanziert wurden der Rundfunk und sein Apparat über eine Abgabe von allen Bürgern, unabhängig davon, ob und wieviel Radio und Fernsehen sie tatsächlich konsumierten.
Diese dualistische Medienordnung aus öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privatwirtschaftlich organisiertem Presse- und Verlagswesen erfuhr mit der Lizenzierung der ersten privaten Fernsehsender Anfang der 1980er Jahre eine bedeutsame Differenzierung. Die neuen Programme, die rein technisch über neu verlegte Kupferkabel ausgestrahlt wurden, machten der ARD und dem ZDF Konkurrenz, kreierten neue Formate und finanzierten sich strikt über Werbung und Sponsoring. Einen bis heute nachwirkenden Schub stellte die Kommerzialisierung des Internet ab Mitte der 1990er Jahre dar. Texte, Fotos, Töne und bewegte Bilder werden über das Netz und über Satellit verbreitet; Bezahlsender und Abo-Kanäle bieten ihre Programme potenziell weltweit an, aus ehemals passiven Empfängern werden aktive Medienmacher, die ihre Videos auf entsprechenden Plattformen präsentieren. Die bislang letzte Stufe wurde mit dem internetfähigen Telefon ab Ende der 2010er Jahre genommen, das den Produzenten von Inhalten vom Sendeort entkoppelt.
Über diese grundlegende Veränderung der Medienmärkte hinweg ist das ökonomische Modell der Anstalten des ÖRR in Deutschland prinzipiell unverändert geblieben. Seit 2013 gilt hierzulande die sogenannte Haushaltsabgabe, die jeder gemeldete Haushalt monatlich in gleicher Höhe zu leisten hat, egal wie viele Personen dort leben, wie hoch das Nettoeinkommen ist und ob überhaupt Radio und TV vorhanden sind, unabhängig zudem vom Nutzen der Programme des ÖRR. Bei der Detektion der fraglichen Adressen der zahlungspflichtigen Haushalte sind die Einwohnermeldeämter gern bereit, sich über datenschutzrechtliche Bedenken hinwegzusetzen und den Sendern Auskünfte zu erteilen. Diese verstehen bei einer Verweigerung der Zwangsgebühr keinen Spaß – ohne viel Federlesens lassen sie säumige Gebührenzahler so lange ins Gefängnis werfen, bis diese einbrechen. All das wird formal-rechtlich abgesichert über den Medienstaatsvertrag, den die Bundesländer miteinander geschlossen haben, zuletzt 2020.
Und genau diese Zwangsfinanzierung soll nun nach dem Willen der Medienfunktionäre keineswegs thematisiert werden. Der Fall Schlesinger wird von den ÖRR-Fürsten und ihren PR-Fachleuten, aber auch von der Journaille aus den Print- und Onlineredaktionen, als persönliche Verfehlung einer Einzelnen interpretiert, strukturell laufe bei den beteiligten Anstalten alles bestens, allenfalls müssten Kontrollgremien hier und da besser ausgestattet werden, finanziell wie personell. Dabei ist die Gelegenheit günstig, die Frage nach dem Budget grundsätzlich zu stellen. Deutschland wäre damit in bester Gesellschaft: Frankreich schafft den monatlichen Zehnten für seinen staatlichen Rundfunk ab, Großbritannien diskutiert das Ende der BBC für das Jahr 2027, da ist es naheliegend, auch hierzulande das System eines Fernsehpfennigs angesichts einer sich komplett gewandelten Medienlandschaft zu suspendieren und nur jene für das Angebot zahlen zu lassen, die es auch tatsächlich nutzen.
Die Verteidiger des ÖRR, die die rund 8 Mrd. Euro, die dem System ganz ohne eigenes Zutun jährlich zufließen, für gut angelegt halten, argumentieren gern mit der demokratisch unverzichtbaren Position, die der ÖRR gerade in Krisenzeiten habe, als verlässliche Quelle für Fakten, Kontext und Analyse, basierend auf solider professioneller Arbeit. Der Chefredakteur des WDR hat in diesem Zusammenhang ohne rot zu werden von einer Demokratieabgabe gesprochen, damit die monatliche Zwangsgebühr veredelnd. Sicher, das Netz der Korrespondenten von Kairo und Dubai über Delhi und Tokio bis nach San Francisco und Brasilia ist für die Vor-Ort-Reportage vorbildlich und erlaubt im Konfliktfall eine Sammlung und Bewertung von Nachrichten. Die Korrespondenten sind mediale Botschafter, die das jeweilige Land in der Tiefe wie Breite kennen und entsprechende Bilder und Interpretationen liefern können.
Allerdings sollte dabei nicht vergessen werden, wie gering, bezogen auf das Rund-um-die Uhr-Programm der Sender, der Anteil der Politik tatsächlich ist. Schon die einschlägigen Magazine und Talkshows reichern ihre Angebote mit politisch korrekter Haltung an und belehren mehr, als dass sie informieren. Die Maxime „Sagen, wie es sein sollte“, dominiert die Richtung der Sendungen, egal, welches Thema gerade verhandelt wird. Den Löwenanteil des Programms nehmen seit jeher Unterhaltungssendungen ein: Vom Tatort bis zum Heidekrimi, von Rosamunde Pilcher bis zu Helene Fischer, von Wetten, Dass bis zu Verstehen Sie Spaß, vom Traumschiff bis zum Fernsehgarten, dazu Fußball ohne Ende, werden Unsummen für eine heile Fernsehwelt ausgegeben, die einen einlullenden Effekt auf den Zuschauer hat. Das Fernsehen als Gegenentwurf des eigenen bescheidenen Lebens.
Der ÖRR mit seiner verfassungsrechtlich beglaubigten Bestandsgarantie müsste nicht nach den Quoten des Gesendeten schielen, anders als die Privaten, die ihren Werbekunden Rechenschaft ablegen müssen. Stattdessen setzt die ganze Senderriege auf das Seichte, Keimfreie und Harmlose, mit dem ewigen Hinweis, die Leute wollten das eben sehen und es sei demokratisch, den breiten Publikumsgeschmack zu bedienen. Gerne übersehen die Strategen in den Senderzentralen, dass das lineare Fernsehen längst zur Domäne der Generation 60+ geworden ist. Leute unter 30 beziehen ihre Informationen aus dem Internet, von den Redaktionen und Blogs ebenso wie von den Intermediären und Aggregatoren. Sie abonnieren junge Streamingdienste, deren Drehbücher sie über mehrere Folgen fesseln und nicht so unsagbar vorhersehbar daherkommen wie die ZDF-Mehrteiler oder der Fernsehfilm der Woche. An der durchschnittlichen Reklame vor der Tagesschau kann man wunderbar ablesen, für welche Zuschauer hier Programm gemacht wird: Mittel gegen Darmträgheit, Erektionsstörungen, Vergesslichkeit und Rückenschmerzen zielen auf die Rentnerbrigade der Apotheken-Umschau.
Kürzlich wurden ARD-Volontäre nach ihrer parteipolitischen Präferenz gefragt. Etwa 60 % nannten die Grünen, etwa 15 % jeweils die Linken und die SPD, die restlichen 10 % verteilten sich auf die Union und die FDP. Diese irreale Schlagseite bar jeder Ausgewogenheit zeigt sich auch in den Formaten, die als Satire ausgeflaggt sind, tatsächlich aber als Erziehungsfernsehen im Sinne der Ampel-Koalition daherkommen: Dort wird natürlich gegendert, selbstverständlich schämt man sich für das eigene Weißsein, Männer sind Schweine, Frauen sind Engel, Migranten sind stets edel und schutzbedürftig. Corona ist weiterhin die neue Pest und die Gasumlage ist halb so wild, Proteste dagegen können nur populistisch und extremistisch sein und eigentlich auf die Abschaffung des parlamentarischen Systems der Bundesrepublik zielen. Sollte die kritische Beobachtung der Regierung einmal hehre Aufgabe des Journalismus gewesen sein – der ÖRR übernimmt nur zu gern die Hofberichterstattung.
Diese unterwürfige Haltung hat natürlich etwas mit den wirtschaftlichen Grundlagen der eigenen Arbeit zu tun. Ein Ausstieg aus dem mafiosen System ÖRR ist nicht vorgesehen, einmal Gebührenzahler, immer Gebührenzahler. Selbst die katholische Kirche akzeptiert, dass derjenige, der sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts verlässt, nicht mehr für sie zahlen muss. Die leitenden Redakteure des ÖRR attestieren sich selbst gern hochwertige journalistische Arbeit, ohne aber sich damit auf dem Markt behaupten zu wollen. Wären ihre Inhalte so qualitativ wie proklamiert, könnten sich die Redaktionen entspannt dem Urteil der Zuschauer stellen – das Beharren auf der Zwangsgebühr offenbart die heimliche Angst der TV-Granden vor der Reaktion des Publikums. Die Zwangsabgabe ist eine enorme Wettbewerbsverzerrung nun auch im Internet, wo die privaten Verlage und die international agierenden Plattformen nach Wegen der Monetarisierung ihrer Dienste suchen, während der ÖRR auch hier das gemachte Bett vorfindet.
Vorschläge zur Reform des ÖRR liegen in erfreulicher Differenzierung auf dem Tisch. Marktliberale reden einem Abomodell à la Netflix das Wort, andere wollen eine gesonderte Steuer heranziehen, wieder andere sehen eine Medienabgabe der globalen Datenkonzerne als geeignete Quelle. Ihnen allen ist es wichtig, dass sich der ÖRR personell, finanziell und strukturell kolossal verschlanken und sich auf die Aufgaben besinnen müsse, die ein wirtschaftlich orientierter Sender kaum übernähme und die lange mit dem berüchtigten Begriff der Grundversorgung deklariert wurden: Korrespondentennetz, Lokalberichterstattung, Dokumentation, Kultur, Filmkunst. Seit 40 Jahren beweisen die privaten Sender, dass sie mit reiner Unterhaltung ihr Publikum finden können; dazu muss der ÖRR nicht in einen subventionierten Wettbewerb treten. Der Medienmarkt in Deutschland ist einseitig reguliert, der Welpenschutz des ÖRR hat sich historisch überlebt.
Von der Kognitionsforscherin Elisabeth Wehling stammt das sogenannte Framing-Manual, in dem sie den leitenden Akteuren der Sender der ARD kommunikative Vorschläge macht, um über die angeblichen Segnungen des ÖRR zu reden. Sie empfiehlt, jede Debatte unbedingt mit emotionalen und moralischen Argumenten zu führen. Sie geht so weit, eine Identität von Redaktion und Publikum zu behaupten. Das aber wäre das Ende einer jeden liberalen Öffentlichkeit: Es muss immer klar unterschieden werden können zwischen dem Medium, dem Sachverhalt, den zuständigen Behörden, Unternehmen, Organisationen oder und den Rezipienten. Anders gesagt, die Menschen denken selbst und bilden sich ihr eigenes Urteil, dazu erheischen sie die Informationen, die ihnen die Medien als Filter und Verdichter liefern sollen. Und hier sind der RBB und der WDR journalistische Marken wie Sat1, Sky, CNN und RT Deutsch. Die primäre Anerkennung publizistischer Arbeit ist die Aufmerksamkeit, die sich konvertieren lässt in Valuta. Vermutlich sind viele Menschen in Deutschland bereit, die Arbeit des ÖRR zu honorieren. Von dessen Arroganz und Gönnerhaftigkeit aber haben sie mehrheitlich genug.