Offen

Noch am Morgen hatte er ihr auf Telegram geschrieben, wollte wissen, ob es bei der abendlichen Verabredung bleibe. Kerstin war aufgeregt, was sie auch kommunizierte, genauso erfreut war sie ob der Perspektive einer angeblichen Tantra-Session. Ihr war sonnenklar, dass Severin und sie bei der Massage nackt sein würden. Natürlich fragte sie sich bang, ob ihm ihre Brüste zu klein sein würden, was er über ihre Silhouette denken und was er zu ihrer Spalte sagen würde. Sie war erfüllt vom Versprechen auf eine zauberhafte Begegnung und sagte voller Freude zu.

Sie wollte sich schön machen für diesen Mann, den sie über zwölf Jahre kannte, als Freund, als Kollegen, als Vertrauten. Nun wünschte sie sich, dass er ihr Liebhaber werde. Er schien nicht abgeneigt, schließlich kam die Idee einer Massage von ihm. Sie zog das rote Etuikleid an, das dezent Taille und Dekolleté betonte, Hüften andeutete und knapp oberhalb des Knies endete. Mit den knöchelhohen schwarzen Stiefelchen fand sie sich im Spiegel ihres Schlafzimmers irre sexy. Die frisch getönten und gewaschenen Haare trug sie offen, die dunklen Wellen fielen ihr warm und lockend auf die Schultern. Sie zog die Lippen signalrot nach und fand, sie mache fürs Büro eine akzeptable Figur – und vor allem für den Feierabend.

Als sie das Büro verließ und im beigen Cape zur S-Bahn stöckelte, dämmerte es bereits. Sie fand es seltsam, sich mit Severin in der Wohnung seiner Freundin während deren Abwesenheit zu treffen, um mit ihm intim zu werden, aber sie wollte sich nicht seinen Kopf zerbrechen wegen dieses von ihm getroffenen Arrangements. Sein Angebot, seine Freundin kurz kennenzulernen, bevor diese zur Chorprobe fuhr, lehnte sie dankend ab, vielleicht ein anderes Mal. Sie ging durch die ruhige Seitenstraße mit ihren unzerstörten Altbauten mit den Jugendstilfassaden, fühlte sich auf Anhieb wohl auf dieser bürgerlichen Insel in der dreckigen Stadt und stand schließlich vor der genannten Hausnummer. Der Name auf dem Klingelschild war gut zu lesen, im entsprechenden Stockwerk brannte Licht, wie sie von unten gewahr wurde.

Die Wohnungstür stand leicht offen, Kerstin tippte mit den Knöcheln auf das Blatt und schob sie auf. Im Flur stand Severin im Bademantel, lächelnd, genau wie sie. Sie gaben sich einen flüchtigen Kuss, Severin zeigte ihr das Spielzimmer und das Bad. Dort duschte sie, frottierte sich trocken und hüllte ihren nackten Körper in den Kimono, der wie für sie geschneidert bereit lag. Sie warf einen Blick in den Badezimmerspiegel, atmete tief durch, fand sich reizend und ging nach vorn. Severin lag nackt bäuchlings auf einer Matratze, den Po mit einem Handtuch lose bedeckt, leise Musik lief, Kerzen brannten, Teeduft hing im Raum. Sie waren überein gekommen, dass sie mit der Massage beginnen solle, um sich dann in einem zweiten Schritt von ihm verwöhnen zu lassen.

Kerstin hockte sich über Severins Hüften, sich mit den Händen auf seinen Schulterblättern abstützend. Sie streichelte langsam in kreisenden Bewegungen den straffen Rücken, sie konnte ein Jauchzen nicht unterdrücken, als sie seine feste Oberarmmuskulatur griff. Sie kannte das Gefühl von früheren Umarmungen, nun lag dieser Mann mit seinem definierten Körper eines Turners vor ihr und ließ sich von ihr liebkosen. Denn genau das wurde es, aus der anfänglichen Massage wurde ein erotisches Streicheln, das sie von Beginn an gewollt und angestrebt hatte. Sie suchte vollen Hautkontakt zu ihm, legte sich mit ihrer Brust auf seinen Rücken, schob sich langsam reibend über ihn, strich mit ihren Füßen über seine Waden, gab ihm Küsse in den Nacken, verwuschelte ihm seinen Fassonschnitt. Sein wohliges Grunzen gab ihr das Gefühl, ihm wohlzutun.

Dann drehte er sich um und ein Blick auf seine Lenden zeigte beiden, dass er sehr bei der Sache war. Es wunderte ihn selbst, wie er ihr mitteilte, dass sein Schwanz gewachsen war und sich aufzurichten begann. Nun lag sie auf dem Rücken, die Beine offen, splitternackt seinen Augen und Armen dargeboten. Er lächelte, küsste sie tief in den Rachen hinein und fasste ihre kleinen Brüste, genau in der Stärke, wie sie es liebte. Er kauerte auf seinen Knien und mit einem schnellen Griff hatte er ihr Becken auf Gesichtshöhe angehoben, sie warf die Hände neben ihren Kopf und ließ es inniglich geschehen, als er anfing, ihre Spalte zu lecken. Das war keine Massage mehr zur Lockerung der Chakren, das war ein Liebesspiel, das beide wollten. Über sich erkannte Kerstin eine Uhr an der Wand, sie hatten noch gut 90 Minuten. Wenn Du mich weiter so anmachst, ficke ich Dich, hörte sie Severin sagen.

Ohne jede Scheu gab sie ihm zur Antwort, Mache doch, ich werde Dich nicht hindern. Er legte sie sich zurecht und führte einen ölgetränkten Finger ein. Sie wand sich vor Lust und Schmerz, als der zweite hinzukam. Es ging etwas eng zu in ihr, bei ihren bisherigen Erfahrungen mit ihrer Neovagina spielte die Penetration keine Rolle. Nun einem Mann Platz zu bieten, war nicht ganz einfach, sie würde diese sinnliche Region mit ihren Muskeln, Nerven und Hautfalten rund um die Öffnung trainieren müssen, um ihn gänzlich aufnehmen zu können. Severin musterte sie von Kopf bis Fuß und schien Gefallen zu finden an diesem Leib, der so lang und sehnig war wie seiner, mit einer seidigen Haut und angedeuteten Rundungen weiblicher Art. Unter seinen Griffen zuckte sie am ganzen Körper, sie fühlte sich genommen und befriedigt, auch ohne kompletten Vollzug.

Wohlig ermattet lagen sie nebeneinander, erfreuten sich an der Gegenwart des/der anderen. In Kerstin wuchs eine Furcht, Severin werde sie zu maskulin finden, ihre Hände waren kaum kleiner als seine, wie er sofort bemerkt hatte. Er musste registrieren, dass sie mit Männern wenig Erfahrung hatte, ohne dass es ihn zu verstören schien. Hier zahlte sich aus, dass beide einander seit Jahren vertraut waren und sich nun eine neue Dimension erschlossen. Er zog mit dem Daumen rund um ihren Bauchnabel und meinte, er sei froh, dass sie die Haare lang trage. Voller Eifer erzählte sie ihm vom letzten Friseurbesuch und ihrer Idee, sich die Haare zum Pagen kürzen zu lassen. Er korrigierte sie sanft und meinte, er habe die Locken rund um ihre Scham gemeint. Einmal mehr trat ihre Unbedarftheit zutage, sie machte Entdeckungen mit einem Mann, die geborene Frauen in jungen Jahren machen.

Ihr blieb noch eine halbe Stunde, bis die Dame des Hauses erwartet wurde. Voller Seligkeit ging sie ins Bad und wusch sich das Kokosöl von der Haut. Es war nicht gerade romantisch, in dieser verträumten Stimmung die Wohnung zu verlassen und nach Hause zu fahren, zu gern wäre sie an Severins Seite liegen geblieben und eingeschlafen. Egal, es hatte beiden Spaß gemacht, das Anrühren und Überschreiten der Grenzen war für beide eine schöne Erfahrung gewesen, die sie wiederholen wollten. Das war für Kerstin das Glück dieses Abends: Severin wurde durch sie angemacht, er wollte mehr von ihr, er wollte sie wiedersehen mit mehr Zeit für Experimente. Mochte er ahnen, dass sie ihre Weiblichkeit über Umwege erhalten hatte, für ihn war sie offenbar Frau genug, sie zu begehren. Sie gab ihm auf der Türschwelle einen Abschiedskuss und steppte die Treppen nach unten, leise die Karelia-Suite von Sibelius summend. Als sie in der S-Bahn saß, erkannte sie ihr lächelndes Gesicht in der dunklen Scheibe. Sie fühlte sich nun ein Stück mehr Frau, sie hatte lang genug warten müssen.