Palmsonntag

Mit dem Einzug Jesu in Jerusalem (Mk 11,7-11) an Palmsonntag beginnt die Karwoche, die mit der Gefangennahme, der Kreuzigung und der österlichen Auferstehung Jesu Christi gipfelt. Die Fastenzeit mit ihrer Vorbereitung auf die Passion des Erlösers kommt zu ihrem Höhepunkt. Im Gottesdienst werden die Palmzweige geweiht, bevor das Kreuz und Bildnisse Jesu in der Vorwegnahme der Trauer des Karfreitags verhüllt werden. Ostern, das höchste Fest der Christenheit, steht in diesem Jahr unter einem besonders dunklen Stern. Als ob die politischen Corona-Maßnahmen das kirchliche Leben nicht bereits genug behinderten, ist nun in der katholischen Gemeinde Sankt Stephanus in Münster der Streit um die Abberufung des Pastors eskaliert: Eigentlich sollte er zum 1. Juni in eine andere Pfarrei versetzt werden, nun wurde ihm im Handstreich die Dienstwohnung zu Mitte März gekündigt.

Der abrupte Auszug des beliebten Pfarrers nach 17 Jahren erfolgreicher Gemeindearbeit stellt eine traurige Klimax in der Auseinandersetzung zwischen dem Münsteraner Bischof und der Gemeinde Sankt Stephanus in der Aaseestadt dar. Als des Bischofs Entscheidung Anfang Advent 2020 verkündet wurde, machte sich Fassungslosigkeit unter den Gemeindemitgliedern breit. Sie konnten partout nicht verstehen, warum ein ausgesprochen engagierter und wohlwollender Priester mir nichts, dir nichts aus der Gemeinde herausgerissen und ans andere Ende der Stadt versetzt werden sollte. Die Gläubigen sammelten sich nach dem betäubenden Schlag, organisierten sich, schrieben Leserbriefe an die Lokalzeitung, setzten eine Webseite auf und drängten auf ein Gespräch mit dem Bischof, zu dem es Ende Januar 2021 tatsächlich kam.

Allerdings blieb die Kernfrage der Vertreter nach den Gründen für des Priesters Versetzung unbeantwortet, diffus war seitens des Bistums von einer personellen und strukturellen Neuorientierung der Pfarrei die Rede. Zudem müsse der Bischof das große Ganze der Diözese im Blick behalten und könne sich nicht mit den Befindlichkeiten einer einzelnen Gemeinde aufhalten. Der betroffene Priester hielt sich aus Loyalität gegenüber seinem Dienstherrn wie wohl auch aus Scham gegenüber seiner Umgebung mit Stellungnahmen zurück; allerdings betonte er noch im Februar während eines Gottesdienstes, dass er gerne in Sankt Stephanus geblieben wäre, und dementierte damit die Behauptung des Generalvikariats, er habe um seine Versetzung gebeten. Vor diesem Hintergrund ist der Rausschmiss des Pastors kurz vor Ostern aus seinem Amt und aus seiner Dienstwohnung neben der Kirche als brutaler Schnitt zu verstehen.

Am Palmsonntag versammelten sich geschätzte 500 Menschen nicht nur aus Sankt Stephanus zu einer Protestveranstaltung auf dem Münsteraner Domplatz, um gegen den würdelosen Umgang des Bischofs mit ihren Anliegen zu protestieren. Dabei wurde der sattsam bekannte Vorwurf der Intransparenz wiederholt; bis heute wurde ihnen kein konkreter Grund für die Demission des Priesters genannt, der für die Vitalisierung des Miteinanders der Gemeinde seit 2003 steht wie kein Zweiter. Eine Rednerin thematisierte einen schwelenden Konflikt zwischen liberalen und konservativen Kräften in der Großpfarrei Sankt Liudger, zu der die einstmals selbstständige Gemeinde Sankt Stephanus zählt. Die anderen mitfusionierten Gemeinden Sankt Anna, Sankt Pantaleon und Sankt Ludgerus am westlichen Stadtrand werden von Priestern der Emmanuel-Gemeinschaft geleitet, die im Ruch steht, gegen Segnungen für Homosexuelle und gegen die Besetzung von Leitungsämtern mit Frauen zu opponieren.

Sankt Stephanus, nah an der Münsteraner Innenstadt gelegen und von vielen jungen Familien ob der grünen Gärten und ruhigen Straßen bevorzugt, reklamiert ein liberales Verständnis der Theologie wie der Lebenswirklichkeit der Gegenwart für sich, das generationenübergreifend funktioniere. Den Männern und Frauen muss dabei die gutherrenartige Führungskultur des lokalen Bischofs wie aus dem 19. Jahrhundert sauer aufstoßen. Von seinem fürstlichen Palais im Schatten des Doms wäre es ein Katzensprung zu der Demonstration des Unmutes gewesen, aber natürlich ließ sich der Instrumentalist der kirchlichen Macht nicht blicken unter seinen Schäfchen. Seine Einweg-Kommunikation mutet auch für Gäste in Sankt Stephanus und Münster grotesk an; selbst, wenn er neben dem pastoralen Blick die Finanzen der Großpfarrei im Auge haben muss, kann er es sich nach dem Verständnis einer modernen Good Governance kaum leisten, weitreichende Personalentscheidungen lediglich im Vorbeigehen zu verkünden und es seinen Subalternen zu überlassen, diese zu exekutieren.

Dieser Bischof, dessen Weggang aus dem Bistum Essen 2009 dort mit Erleichterung quittiert wurde, steht in Deutschland leider nicht allein mit seinen erratischen Auftritten. Sein Amtsbruder in Köln (seit 2014) macht in der Kommunikation um die Aufarbeitung des Skandals um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche eine dermaßen katastrophale Figur, dass auf breiter Front sein Rücktritt gefordert wird. Völlig klar, dass die Erosion der weltlichen Macht auch mit einem Verlust an seelsorgerischer Autorität einhergeht. Die Vorabendmesse zum Palmsonntag, die erste ohne den geschassten Priester, war selbst unter den tristen Corona-Bedingungen nur schütter besucht und fand in einer Atmosphäre der Lähmung statt – die Gemeinde stimmte unmissverständlich mit den Füßen über den klerikalen Ukas ab. Das Klingelschild an der verwaisten Dienstwohnung nennt noch den Ehemaligen, auf der Webseite der Pfarrei sind sein Name und sein Foto wie weiland bei Stalin bereits getilgt.

Dem Münsteraner Bischof scheint der Gedanke fernzuliegen, dass er sich mit seiner Entscheidung à la Machiavelli ins eigene Fleisch schneidet. Er müsste in Zeiten des chronischen Rückgangs der Zahlen der Gläubigen, in Zeiten, in denen die Termine beim Amtsgericht zum Kirchenaustritt auf ein halbes Jahr hin ausgebucht sind, den Schatz einer mobilisierten und lebhaften Gemeinde hegen und pflegen; stattdessen geht er mit den zahllosen Ehrenamtlichen um wie ein Spieß mit seinen Rekruten, der nur das Geschrei und den Verweis kennt. Dass er es dem offiziell noch nicht bestimmten Nachfolger im Amt des Pastors über Gebühr schwer macht, scheint ihn nicht zu bekümmern. Ein Gemeindemitglied äußerte am Rande der Demonstration am Palmsonntag, der Bischof habe den ersten Stein auf Stephanus, den ersten Märtyrer der Christenheit (Apg 7,54-60), geworfen, der nun zum zweiten Male hingerichtet werde. Keine aufbauende Perspektive für das nahe Osterfest, das größte Geheimnis wie Wunder des christlichen Glaubens.

Der aus der Aaseestadt an den Südostrand Münsters vertriebene Priester hat dem Vernehmen nach bereits eine Wohnung im neuen Stadtteil gefunden, allerdings nicht auf dem Gelände seiner künftigen Kirche. Mutmaßlich wird er, der weiter als Religionslehrer an einer Schule nahe seiner alten Pastorale arbeiten wird, „seinen“ Leuten dann und wann auf dem Fahrrad begegnen. Die Netzwerkarbeit in Sankt Stephanus wird sich ohne ihn neu sortieren müssen, ob es um die Hospizarbeit geht, die Jugendgruppen, die Suppenküche oder die Seniorenseelsorge. Die aktiven, willigen und verantwortungsbereiten Gemeindemitglieder bleiben ja vorerst, ebenso wie der Handlungsbedarf vor Ort nicht schwindet. So schmerzhaft die vergangenen Monate für die Gemeinde Sankt Stephanus auch waren, das religiöse Leben wird weitergehen. Nun können die Schafe zeigen, wie sie sich ohne ihren Hirten auf der Weide finden. Auch das ist eine frohgemute Osterbotschaft.