Schach gilt gemeinhin als die Krone der Spiele. Die Züge finden vor den Augen der Spieler und des Publikums statt, sie sind das Ergebnis konkreter Berechnung auf der Grundlage allgemein bekannter Regeln. Für den Verlust einer Partie gibt es keine Ausreden, der Gegner hat einfach besser gespielt. Schach wird zu Recht als Legierung aus Kunst, Wissenschaft und Sport bezeichnet, im Exekutieren der Gesetze der Logik haben Pech und Zufall keinen Platz.
Das aber sehen die hohen islamischen Geistlichen anders. Ein sunnitischer Mufti aus Saudi-Arabien und ein schiitischer Ayatollah aus dem Iran haben in seltener Einmütigkeit das Schach als haraam (etwa fluchbeladen, verboten, aber auch tabu) erklärt, mit einem Leben entlang islamischer Werte unvereinbar. In beider Augen stehle das Spiel den Menschen Zeit, mache süchtig und lade zum Wetten ein. Sie sperren dergestalt das Spiel der Könige ins Casino ein.
Vor rund 1 600 Jahren entstand eine frühe Version des Schachs in Indien und fand über Persien und Arabien den Weg nach Europa, wo es während der Renaissance zu seiner heutigen Form kam. Die lange Reise durch Raum und Zeit klingt noch nach in den Titeln des Schah, des Zaren und des Cäsar. Zwar hat nach verbreiteter Auffassung der gute Spieler immer Glück, aber allein mit Zocken und Blenden kommt man nicht weit am Brett. Guter Geist ist trocken.
Vielleicht bemühen die islamischen Geistlichen die Analogie zum Glücksspiel nur deshalb, weil sie vor der stillen Schönheit des Schachs warnen wollen, die grenzüberschreitend fasziniert und ohne Worte verstanden wird; selbst in Mekka und Qatar gibt es Schachturniere. Am Ende hat wohl Raymond Chandler recht mit seiner Vermutung, Schach sei „die komplizierteste Vergeudung menschlicher Intelligenz, die sich außerhalb einer Werbeagentur nur finden läßt“.