Als Zeichen höchster Wertschätzung eines Menschen kann es gelten, lediglich über den Vornamen identifiziert zu werden. Auf dem Gebiet der Literatur, speziell des Dramas, lässt sich dies ohne Frage über William Shakespeare (1564 – 1616) sagen. Der englische Autor zählt zu den permanent leuchtenden Sternen am Firmament der Kunst, in der Welt des Theaters logiert er unbestritten auf dem Spitzenplatz. Er ist heuer der meistgespielte Bühnenautor weltweit; analog zu Bibel, Ilias und Odyssee, ist sein Werk eine nimmer versiegende Metaphernquelle.
So gesehen, bräuchte es nicht die gerade begangene Erinnerung an die 400. Wiederkehr seines Todestages, um sich sein sagenhaftes Schaffen zu vergegenwärtigen. Auch wer seine Tragödien, Komödien und Historien nicht kennt (nicht zu vergessen seine Sonette), wird die zahllosen zu geflügelten Worten gewordenen Zeilen gehört haben: A horse! A horse! My Kingdom for a horse! (Richard III., Act V, Scene 6); Sigh no more, ladies, sigh no more. (Much ado about nothing, Act II, Scene 3); To be, or not to be, that is the question: (Hamlet, Act III, Scene 1); That thereby beauty’s rose might never die, (Sonnet I).
Shakespeares Figuren erscheinen bei aller raffinierten Psychologie weniger als Charaktere, vielmehr als Typen: Neben dem skrupellosen Thronfolger, der auf dem Weg zur Krone auch vor Kindsmord nicht zurückschreckt, gibt es die verboten und treu bis in den Tod Liebenden; zum zaudernden Prinzen, der weitreichende Entscheidungen nicht treffen mag, gesellt sich der in Ranküne und Intrige versierte Kaufmann in seinem Streben nach wirtschaftlichem Erfolg. Mögen Williams Stücke im strengen Sinn fiktional sein, kommen sie doch bei aller schäumenden Spiellust auf der Bühne wie Reportagen des Lebens daher: Seht, so sind die Menschen, ehrgeizig und schwach, boshaft und leidenschaftlich, verträumt und ängstlich, gierig und naiv.
Es gehört zu seiner grandiosen Wirkung, dass über Williams Leben dürftig wenig bekannt ist, dass es chronische Zweifel an seiner Urheberschaft all dieser gedrechselten Verse, Strophen, Monologe und Rasereien gibt. Umso besser, die Unverwüstlichkeit seines Schaffens gibt den Lesenden seiner Sonette und dem Publikum seiner Dramen das tiefe Gefühl, einem Moment der Wahrheit beizuwohnen, die sich in der Sprache offenbart, zwischen all den bleibenden Mythen, die in Williams Kulissen voller Hexen und Geister nisten – über die Grenzen von Raum, Zeit und Willen hinweg.